Page 442 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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seiner Leitung standen die Bürger auf, da zu der noch ganz frischen
                Beschwerde des Vaters der Lucretia und ihrer Verwandten sich die
                Erinnerung an den Uebermuth des Tarquinius und vieles durch ihn und

                seine Söhne geschehenen Unrechts gesellte, und sprach die Verbannung
                nicht nur des Königes selbst, sondern auch seiner Kinder und der ganzen
                Familie der Tarquinier aus.
                     26. Seht ihr also, wie aus einem König ein Despot geworden, und
                durch Eines Schlechtigkeit die Verfassung aus einer guten zur
                schlechtesten umgewandelt worden ist? Denn ein Gewaltherrscher
                [Despot] des Volks ist eben Der, den die Griechen einen Tyrannen

                nennen: denn unter einem Könige verstehen sie einen Mann, der wie ein
                Vater für sein Volk sorgt, der Die, über welche er gesetzt ist, in dem
                besten Lebenszustande erhält. Allerdings eine preiswürdige Art von
                Staatsverfassung die sich aber nur zu sehr zur heillosesten hinneigt, und
                zu ihr nur zu leicht hinabsinkt. Denn sobald ein solcher König zu
                ungerechter Gewaltherrschaft sich hingeneigt hat, so wird gleich ein

                Tyrann aus ihm; und ein häßlicheres und scheußlicheres, Göttern und
                Menschen verhaßteres Ungethüm läßt sich nicht denken; und, trotz der
                Menschengestalt, übertrifft er doch an Unmenschlichkeit die gräßlichsten
                Ungeheuer. Denn Wer kann so Einen mit Recht noch einen Menschen
                nennen, der mit seinen Mitbürgern, ja mit der ganzen Menschheit in

                keinem menschlichen Gesellschaftsverhältnisse stehen will?               285  Doch
                über diese [Miß-] Art [Ausartung] werde ich späterhin zu sprechen noch
                eine passendere Stelle finden, wenn mich der Gang der Darstellung
                mahnt, über Diejenigen zu sprechen, die, auch nachdem der Staat schon
                frei geworden war, nach Gewaltherrschaft trachteten.

                     27. Da habt ihr nun eine Schilderung der ersten Entstehung eines
                Tyrannen: diese Namen nämlich haben die Griechen Demjenigen
                gegeben, der mit Ungerechtigkeit König ist: unsere Sprache hat Alle mit
                dem Namen Könige benannt, die eine ununterbrochene [lebenslängliche]
                Gewalt über ihre Völker allein [und ungetheilt] besitzen. Daher sagte

                man vom Spurius Cassius, M. Manlius und Spurius Mälius,                  286  sie haben
                sich zu Königen aufschwingen wollen: und erst neuerlich * * *                 287


                                             [Lücke von zwei Seiten.]



                28. * * * nannte Lykurgus zu Sparta den Rath der Alten              288 ; nur machte
                er ihn zu schwach an Zahl,       289  nämlich acht und zwanzig, in deren
                Hände er die oberste Leitung und Berathung gab, während der König die






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