Page 441 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Freiheit; die nicht darin besteht, daß wir einen gerechten Oberherrn

                haben, sondern [daß wir] gar keinen [haben] * * *             277


                                             [Lücke von zwei Seiten.]


                24. * * * . . . Denn jener ungerechte und harte Herrscher hatte im Laufe
                seiner Regierung eine Zeit lang das Glück im Gefolge seiner
                Unternehmungen. Er überwand nicht nur ganz Latium in einem Kriege,
                und nahm die wohlhabende und reiche Stadt Suessa Pometia ein;                  278

                sondern, mit ungeheurer Beute an Gold und Silber bereichert, löste er
                auch das Gelübde seines Vaters         279  durch Erbauung des Capitoliums,

                legte Pflanzstädte an,     280  und schickte nach der Sitte Derjenigen, von
                welchen er abstammte, prachtvolle Geschenke, gleichsam als
                Opfergaben von der Beute, nach Delphi an den Apollo.
                     25. Und hier komme ich nun an den Wendepunkt [Kreislauf], dessen

                natürliche Bewegung und Umdrehung              281  ich euch vom Entstehen an
                auseinander zu setzen und zu entwickeln gedenke. Denn Das ist eben der
                Gipfel der Einsicht in die Staatsverhältnisse, um die sich mein ganzer
                Vortrag dreht, zu erkennen, was die Verfassungen für einen Verlauf und
                für eine Wendung nehmen, um euch, durch die Erkenntniß, wohin sich

                jede neigt, in den Stand zu setzen, hemmend einzugreifen und (dem
                gedrohten Umschwunge) zum voraus zu begegnen.                  282  Denn jener
                König, von welchem ich spreche, war, nachdem er erst sich mit dem
                Morde des besten Königes befleckt hatte, nicht mehr reines Gemüthes;
                und da er selbst die höchste Bestrafung seines Verbrechens fürchtete,

                wollte er auch gefürchtet seyn. Späterhin, durch seine Siege und
                Reichthümer gehoben, pochte er in übermüthigem Stolze darauf, verlor
                die Herrschaft über sein Benehmen, und vermochte die zügellosen

                Begierden der Seinigen nicht mehr zu bändigen.             283  Und so kam es
                denn, daß, als sein ältester Sohn       284  der Tochter des Tricipitinus,
                Lucretia, die des Collatinus Gemahlin war, Gewalt angethan, und die
                züchtige und edle Frau wegen dieser Entehrung sich selbst den Tod
                gegeben hatte, ein durch Geist und Thatkraft ausgezeichneter Mann,

                L. Brutus, jenes ungerechte Joch harter Knechtschaft von dem Nacken
                seiner Mitbürger abschüttelte: und ungeachtet er Privatmann war, hielt er
                doch den ganzen Staat zusammen und aufrecht, und war der Erste, der in
                unserm Staate die Lehre [praktisch] aufstellte, daß, wo es sich um
                Rettung der Freiheit seiner Mitbürger handle, Jeder aus dem Privatstande

                heraustreten müsse [Keiner Privatmann sey]. Auf seinen Rath und unter




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