Page 448 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 448
Redlichkeit noch wegen Gerechtigkeit sich gleiches Lob [wie die Ersten]
erwarben. Doch verdient aus ihrer Mitte C. Julius eine besondere
Auszeichnung, der von einem vornehmen Manne, dem L. Sextus, in
dessen Zimmer, wie er angab, in seiner Gegenwart ein Leichnam
ausgegraben worden war, ungeachtet seiner höchsten Gewalt als
Decemvir, von dem keine Provocation galt, dennoch einen Bürgen
forderte, und erklärte, er könne sich nicht entschließen, jenes treffliche
Gesetz unbeachtet zu lassen, welches verbiete, über das Leben eines
Römischen Bürgers anderswo, als in einer nach Centurien abstimmenden
Volksversammlung, zu entscheiden 321
37. Noch ein drittes Jahr waltete die Decemviralregierung, und zwar
die des zweiten Jahres, da diese keine Andern an ihrer Stelle hatte
wählen wollen. Bei diesem Zustande des Staates, von dem ich schon
mehrmals gesagt habe, daß er nicht von Dauer seyn könne, 322 weil die
Gleichheit der Rechte unter den verschiedenen Ständen der Bürger
aufgehoben war, hatten die Vornehmen den ganzen Staat in ihrer Gewalt,
da an der Spitze zehen Männer vom höchsten Range standen, ohne das
Gegengewicht der Volkstribunen, und ohne andere Beamte an der Seite
zu haben, und ohne daß die Provocation an das Volk gegen Todesstrafe
und körperliche Züchtigung vorbehalten war. Aus deren Ungerechtigkeit
entstand nun auf einmal die größte Verwirrung und eine Umwandlung
der ganzen Staatseinrichtung: da die Decemvirn zwo Tafeln mit
Gesetzen, welche die Gleichheit der Rechte aufhoben, hinzufügten,
wodurch das Recht der Verheirathung, was sonst sogar getrennten
Völkern nicht versagt zu werden pflegt, nämlich die Verbindung
zwischen dem Plebejer- und Patricierstande, durch eine empörende
Anordnung vermehrt wurde: 323 (ein Gesetz, das späterhin durch den
Canulejischen Volksbeschluß wieder abgeschafft worden ist,) und
überhaupt in dem gesammten Umfang ihrer Macht das Volk nach den
Eingebungen ihrer Lüsternheit, ihrer Härte und ihrer Habsucht
beherrschten. Es ist ja eine bekannte und in vielen Geschichtswerken
ausführlich erzählte Thatsache, daß, als ein gewisser Decimus Virginius
seine Tochter, eine Jungfrau, wegen der zügellosen Lust eines jener
Decemvirn auf dem Forum mit eigener Hand getödtet, und im Schmerz
hierüber zu dem Heere, welches damals im Algidum stand, sich
geflüchtet hatte, die Soldaten den Krieg, den sie eben zu führen hatten,
aufgaben und anfangs den heiligen Berg, wie bei einer ähnlichen
Veranlassung früher geschehen war, sodann den Aventinischen Hügel
bewaffnet besetzten * * * 324
447