Page 451 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Wagen noch so rasch fortrollen, er wird nicht anstoßen; kommt er vom
Wege ab, dann mag er so sachte und langsam fahren, als er will, es geht
gefährlich über Stock und Stein, oder er stürzt einen Abhang hinunter,
oder er kommt wenigstens wider Willen an einen Ort hin, wo er nicht
hinkommen sollte – Lact.]
42. * * * genannt werden kann. Da sprach Lälius: Ja, schon sehe ich
den Mann, den ich erwartete; ich sehe, was du ihm für eine Pflicht und
für ein Geschäft auflegst. Natürlich, erwiederte Africanus, nur das Eine:
denn dieses Eine umfaßt so ziemlich alle übrigen: daß er es nie aufgebe,
sich selbst zu belehren und zu beobachten; daß er Andere ihn
nachzuahmen veranlasse; daß er durch den Glanz, der aus seinem Geiste
und seinem Leben strahlt, sich selbst seinen Mitbürgern wie einen
Spiegel vorhalte. 332 Denn wie beim Saiten- oder Flötenspiel, und im
mehrstimmigen Gesange selbst, ein Zusammenstimmen der von einander
verschiedenen Töne beobachtet werden muß, deren Tactverwirrung und
Misklänge dem Ohre des Kenners unerträglich sind; und wie diese
zusammentreffende Uebereinstimmung und dieser Einklang durch
gehöriges Maßhalten selbst der verschiedenartigsten Stimmen bewirkt
wird; so kommt durch Zusammenstimmung der verschiedenartigsten
Elemente Einklang in einen Staat, wenn in ihm die höchsten, niedrigsten
und die dazwischen stehenden mittlern Stände, wie Töne, in geregelter
Haltung im Gleichgewichte stehen: und was die Musiker im Gesange
Harmonie nennen, das ist im Staate die Eintracht, das festeste und beste
Bindungsmittel der Erhaltung des Ganzen für jedes Gemeinwesen; und
diese ist ohne Gerechtigkeit schlechterdings unmöglich.
43. [Nachdem sich nun Scipio ziemlich ausführlich und reichhaltig
darüber verbreitet hatte, welchen Nutzen dem Staate die Gerechtigkeit
gewähre, und wie verderblich ihm der Mangel derselben sey; 333 nahm
Philus das Wort, einer der Theilnehmer an der Unterhaltung, und
verlangte ein noch tieferes Eindringen und eine noch ausführlichere
Erörterung der Lehre von der Gerechtigkeit, 334 weil eine ziemlich
allgemein verbreitete Meinung den Satz für wahr halte, daß ein Staat
nicht verwaltet werden könne, ohne daß Unrecht geschehe. Augustin de
Civ. Dei II, 21.]
44. * * * voll Gerechtigkeit seyn. Darauf sagte Scipio: da gebe ich
euch Recht, und erkläre, daß Alles, was bisher über den Staat gesagt
worden, nichts werth ist, und daß wir nicht weiter gehen können, wenn
nicht bis zur Ueberzeugung dargethan ist, daß nicht nur der Satz, es
könne ein Staat nicht ohne Unrecht verwaltet werden, sich nicht halten
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