Page 754 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierundzwanzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Wohlgeordnete Republiken setzen Belohnungen und Strafen für ihre
Bürger fest, gleichen aber nie eins durch das andere aus.
Das Verdienst des Horatiers war sehr groß, denn er hatte durch seine
Tapferkeit die Curiatier besiegt. Sein Verbrechen war grauenhaft, denn er
hatte seine Schwester getötet. Diese Mordtat empörte die Römer so, daß
sie ihn trotz seines großen, noch in frischer Erinnerung stehenden
Verdienstes vor Gericht zogen, um über sein Leben zu beschließen.
Oberflächlich betrachtet, könnte dies als Beispiel von Undankbarkeit des
Volkes erscheinen. Bei reiflicher Überlegung jedoch und bei näherer
Untersuchung, wie die Einrichtungen von Republiken sein sollen, wird
man das Volk eher dafür tadeln, daß es ihn freisprach, als dafür, daß es
ihn verurteilen wollte, denn keine wohlgeordnete Republik kann die
Vergehen ihrer Bürger durch ihre Verdienste ausgleichen. Vielmehr setzt
sie Belohnungen für gute und Strafen für schlechte Taten fest, und wenn
sie einen für etwas Gutes belohnt hat, so züchtigt sie ihn danach, wenn er
etwas Schlechtes getan hat, ohne die geringste Rücksicht auf seine
Verdienste.
Werden diese Einrichtungen genau beobachtet, so hält sich ein Staat
lange Zeit frei, andernfalls wird er bald zugrunde gehen. Denn gesellt
sich bei einem Bürger, der irgend etwas Großes für den Staat geleistet
hat, zu dem Ansehen, das er dadurch erwirbt, noch Verwegenheit und das
Vertrauen auf Straflosigkeit, wenn er etwas Böses vollbringt, so wird er
bald so übermütig werden, daß jede bürgerliche Ordnung sich auflösen
muß. Will man aber, daß die Strafe für böse Taten gefürchtet wird, so ist
es notwendig, auch Belohnungen für die guten zu erteilen, wie es Rom
tat. Wenn eine Republik auch arm ist und wenig geben kann, so darf sie
doch nicht versäumen, dies wenige zu geben, denn die kleinste
Belohnung für eine noch so große Tat empfindet der Empfänger als
ehrenvoll und bedeutend. Jedermann kennt die Geschichte des Horatius
Codes und des Mucius Scaevola. Der eine hielt die Feinde bei einer
Brücke so lange auf, bis sie abgebrochen war, der andre verbrannte sich
die Hand, weil er den Etruskerkönig Porsenna ermorden wollte und sich
an einem Falschen vergriff. Vgl. Livius II, 10 und 12. Beide erhielten für
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