Page 749 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Einundzwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Sehr tadelnswert sind die Fürsten und Republiken, die keine eigene
                                                Kriegsmacht haben.


                Die heutigen Fürsten und die neueren Republiken, die zur Verteidigung
                und zum Angriff keine eigenen Truppen haben, müssen sich ihrer selbst
                schämen und aus dem Beispiel des Tullus Hostilius erkennen, daß die
                Schuld für diesen Mangel nicht im Fehlen kriegstüchtiger Männer,

                sondern bei ihnen selbst liegt, weil sie ihre Untertanen nicht
                kriegstüchtig zu machen verstehen. Denn als Tullus nach vierzigjähriger
                Friedenszeit zur Regierung kam, fand er in Rom nicht einen Mann, der
                jemals im Krieg gewesen war. Als er aber Krieg führen wollte, dachte er
                nicht daran, sich der Samniter, Etrusker oder andrer krieggewohnter

                Völker zu bedienen, sondern er beschloß als weiser Fürst, seine eignen
                Untertanen zu verwenden, und seine Tapferkeit war so groß, daß er sie
                während seiner Regierung mit einem Schlage zu den besten Soldaten
                erzog. Nichts ist so wahr wie der Satz, daß da, wo es Männer und keine
                Soldaten gibt, die Schuld am Fürsten liegt und nicht an der Lage des
                Landes noch am Himmelsstrich. Die neuste Geschichte liefert ein
                Beispiel dafür.

                     Ein jeder weiß, daß vor einigen Jahren der König von England
                Frankreich angriff S. Lebenslauf, 1513. und keine andren Soldaten als
                seine Landeskinder dazu nahm. England aber hatte dreißig Jahre lang
                keinen Krieg geführt; es besaß weder Soldaten noch Führer, die je im
                Felde gewesen waren. Trotzdem scheute er sich nicht, mit diesen
                Truppen ein Reich anzugreifen, das viele gute Feldherren und Heere

                hatte, die in den italienischen Kriegen dauernd unter den Waffen
                gestanden hatten. Der Grund war der, daß der König ein weiser Fürst und
                England ein wohlgeordnetes Reich ist, das sein Kriegswesen im Frieden
                nicht vernachlässigt hatte.
                     Nachdem Pelopidas und Epaminondas ihre Vaterstadt Theben befreit
                und das Joch Spartas abgeschüttelt hatten, verzweifelten sie in ihrer
                Mannhaftigkeit doch nicht daran, das an Knechtschaft gewöhnte und

                verweichlichte Volk wieder kriegerisch zu machen und sich mit den
                Spartanern im Felde zu messen, ja sogar sie zu besiegen! Jene beiden,





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