Page 747 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ein befestigtes Reich hinterließ, das er durch die Künste des Friedens
leicht erhalten konnte. Hätte aber sein Sohn Selim, Selim I. (1512-21)
eroberte Armenien, Syrien, Arabien und Ägypten. der jetzige Großherr,
dem Vater und nicht dem Großvater geglichen, so wäre das Reich
zugrunde gegangen; indes scheint sein Ruhm den des Großvaters noch
überstrahlen zu sollen. Diese Beispiele beweisen, daß sich nach einem
ausgezeichneten Fürsten ein schwacher halten kann; unter einem zweiten
schwachen aber kann sich kein Reich behaupten, es sei denn, daß es sich
wie Frankreich durch seine alten Einrichtungen von selbst erhielte.
Schwach aber sind alle Fürsten, die sich nicht auf den Krieg verstehen.
Ich ziehe also den Schluß, daß die große Tapferkeit des Romulus
dem Numa Pompilius erlaubte, Rom viele Jahre lang durch die Künste
des Friedens zu regieren. Auf ihn aber folgte Tullus Hostilius, der durch
seine Tapferkeit den Ruf des Romulus wiederherstellte; auf ihn Ancus
Marcius, der so veranlagt war, daß er den Frieden benutzen und den
Krieg ertragen konnte. Anfangs die Bahn des Friedens beschreitend,
erkannte er bald, daß ihn die Nachbarn für weibisch hielten und gering
schätzten, und so sah er ein, daß er zur Erhaltung Roms zu den Waffen
greifen und dem Romulus, nicht dem Numa, nachstreben müsse. Daraus
mögen sich alle Fürsten, die einen Staat zu regieren haben, eine Lehre
ziehen. Wer dem Numa gleicht, wird die Herrschaft behalten oder nicht
behalten, je nachdem die Umstände oder das Glück sich wenden; wer
aber dem Romulus gleicht und wie er klug und tapfer ist, wird sie unter
allen Umständen behalten, wenn er nicht von einem hartnäckigen und
übermütigen Feinde gestürzt wird. Hätte Roms dritter König seinen Ruf
nicht mit den Waffen wiederhergestellt, so kann man mit Sicherheit
annehmen, daß Rom später nie mehr oder doch nur mit der größten
Schwierigkeit Fuß gefaßt und derartige Erfolge errungen hätte. Und so
war es unter den Königen stets in Gefahr, unter einem schwachen oder
schlechten Herrscher zugrunde zu gehen. Vgl. Kap. 10, Abs. 3, am
Schluß.
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