Page 745 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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andre Lebensweise vorschreiben als einem gesunden, und dieselbe Form
paßt nicht für einen völlig veränderten Stoff. Hat man aber die
Untauglichkeit dieser Einrichtungen eingesehen, so müssen sie entweder
alle auf einmal erneuert werden oder nach und nach, bevor dies von
jedem erkannt wird; aber beides ist so gut wie unmöglich. Denn um sie
nach und nach zu erneuern, muß ein weiser Mann das Übel schon von
weitem und bei seinem Entstehen erkennen und Gegenmaßregeln treffen.
Vgl. Aristoteles, Politik, VIII, 3.
Nun aber ist es leicht möglich, daß solch ein Mann in einer Stadt nie
ersteht, und erstünde er auch, so könnte er doch die andern nie von der
Richtigkeit seiner Einsicht überzeugen. Denn die Menschen, die an einen
bestimmten Zustand gewöhnt sind, wollen ihn nicht ändern, zumal wenn
sie das Übel nicht vor Augen sehen, sondern wenn es ihnen als bloß
wahrscheinlich gezeigt werden muß. Was aber die Erneuerung der
Einrichtungen auf einmal betrifft, wo jeder ihre Untauglichkeit einsieht,
so ist diese Untauglichkeit zwar leicht einzusehen, aber schwer zu
verbessern; denn bei der Schlechtigkeit der Einrichtungen reichen die
gewöhnlichen Mittel nicht hin, und man muß zu außerordentlichen
greifen, also zu Gewalt und zu den Waffen. Vor allem aber muß man
Herr dieser Stadt werden, um nach Gutdünken schalten zu können. Nun
aber setzt die Erneuerung der Verfassung einen trefflichen Mann voraus,
die gewaltsame Besitznahme der Macht aber einen schlechten, und so
wird nur äußerst selten der Fall eintreten, daß ein Mann mit guten
Absichten auf schlimmen Wegen Fürst wird, ein schlechter aber, der
Fürst geworden ist, schwerlich gut handeln und seine schlimm
erworbene Macht zu gutem benutzen.
Aus alledem ergibt sich die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit, in
verderbten Städten eine Republik zu erhalten oder zu begründen. Wäre
dies dennoch notwendig, so müßte man sie mehr der Monarchie als der
Republik annähern, damit die Menschen, deren Übermut durch Gesetze
nicht zu bessern ist, durch eine fast königliche Gewalt einigermaßen im
Zaume gehalten werden. Sie auf andre Weise zu bessern, wäre entweder
völlig unmöglich oder ein höchst grausames Unternehmen, wie ich oben
an Kleomenes S. Kap. 9. gezeigt habe. Wenn jedoch Kleomenes, um
allein zu stehen, die Ephoren ermordete, und wenn Romulus aus dem
gleichen Grunde seinen Bruder und den Sabiner Titus Tatius umbrachte,
beide aber ihre Gewalt nachher zum Guten benutzten, so darf man nicht
vergessen, daß ihre Völker noch nicht so verdorben waren, wie in diesem
Kapitel vorausgesetzt wird. Darum konnten sie ihren Plan fassen und der
Tat eine gute Wendung geben.
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