Page 741 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ermordete Marcus Junius Brutus den Cäsar. Das kam von der durch die
                Partei des Marius ins Volk getragenen Sittenverderbnis; nur dadurch
                konnte Cäsar, das Haupt dieser Partei, die Menge so verblenden, daß sie

                das Joch nicht gewahrte, das sie sich selbst auf den Nacken legte.
                     Das Beispiel Roms ist zwar ausschlaggebend, aber ich will bei dieser
                Gelegenheit auch Völker der Gegenwart anführen. Ich sage also, daß
                kein Ereignis, so wichtig und gewaltig es sei, Mailand oder Neapel je
                wieder frei machen könnte, weil die Sitten hier völlig verderbt sind. Das
                zeigte sich, als Mailand nach dem Tode Filippo Viscontis zur Freiheit
                zurückkehren wollte, sie aber nicht zu behaupten verstand noch

                vermochte. Nach dem Tode des Herzogs Filippo Maria Visconti (1447)
                erklärte sich Mailand zur Republik, kam aber schon 1450 in die Gewalt
                seines Feldhauptmanns Francesco Maria Sforza, dessen Geschlecht die
                Herrschaft unter wechselnden Schicksalen behielt, bis es 1335 ausstarb.
                Die folgende spanische Herrschaft wurde 1717 durch die österreichische
                abgelöst, die bis 1859 währte. – Nach der Gefangennahme des letzten

                Königs Friedrich von Aragon durch die Franzosen (1501) und der
                Eroberung durch die Spanier (1503) kam Neapel unter spanische
                Herrschaft bzw. Dynastie, unter der es mit zwei größeren
                Unterbrechungen bis 1860 blieb. Es war also für Rom ein großes Glück,
                daß seine Könige schnell verderbt und verjagt wurden, bevor ihre
                Verderbtheit in die Eingeweide des Staates überging. Dieser
                Sittenreinheit ist es zuzuschreiben, daß die zahllosen Unruhen in Rom,

                da der Endzweck der Bürger immer gut war, dem Staate nichts
                schadeten, sondern nützten.
                     Man kann also den Schluß ziehen, daß da, wo die Sitten rein sind,
                Aufstände und Unruhen nichts schaden; wo sie aber verderbt sind, helfen
                auch die besten Gesetze nichts, sie würden denn von einem Manne mit
                äußerster Strenge gehandhabt, bis die Sitten wieder gut sind. Ob das je

                geschehen ist oder geschehen könnte, weiß ich nicht; denn wie gesagt,
                wenn ein Staat durch Sittenverderbnis in Verfall geraten ist und sich
                überhaupt wieder erholt, so geschieht dies nur durch das Verdienst eines
                Mannes, und nicht der Gesamtheit, die die guten Einrichtungen in Kraft
                erhielte. Sobald dieser eine stirbt, kehrt der Staat ins alte Geleise zurück.
                Ein Beispiel hierfür bietet Theben, das durch die Tüchtigkeit des
                Epaminondas eine republikanische Regierungsform erhielt und zur

                Vormacht in Griechenland wurde, nach seinem Tode aber in die alte
                Verwirrung zurücksank. Die obige Stelle nach Cornelius Nepos. Denn
                kein Mensch lebt so lange, daß er einem seit lange verderbten Staat gute
                Sitten beibringen könnte. Da also ein Mann von sehr langer Lebensdauer





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