Page 746 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                     Nach einem ausgezeichneten Fürsten kann sich ein schwacher
                   halten; nach einem schwachen aber kann sich mit einem zweiten
                                       schwachen kein Reich behaupten.


                Betrachtet man die Eigenschaften und die Handlungsweise des Romulus,
                Numa und Tullus, der ersten drei römischen Könige, so erkennt man, daß
                Rom ein großes Glückslos zog, da es zuerst einen sehr tapferen und

                kriegerischen, dann einen friedlichen und frommen und hierauf einen
                König hatte, der Romulus an Tapferkeit gleichkam und den Krieg mehr
                liebte als den Frieden. Denn Rom mußte anfangs einen Ordner des
                bürgerlichen Lebens haben, aber die folgenden Könige mußten auch zur
                Tapferkeit des Romulus zurückkehren, sonst wäre Rom verweichlicht

                und zur Beute seiner Nachbarn geworden. Daraus ergibt sich, daß ein
                Herrscher, der nicht so tapfer ist wie sein Vorgänger, den Staat durch
                dessen Tapferkeit noch aufrechterhalten und die Früchte seiner
                Anstrengungen genießen kann. Hat er aber ein langes Leben oder folgt
                ihm ein andrer ohne die Tapferkeit des ersten, so muß das Reich
                notwendig zugrunde gehen. Besitzen dagegen zwei Fürsten
                hintereinander große Tapferkeit, so sieht man sie häufig das Größte

                vollbringen und ihren Ruhm bis zum Himmel erheben.
                     David war ohne Zweifel ein Mann von hervorragender Erfahrung im
                Kriegswesen, voller Kenntnisse und Urteilskraft, ja, seine Tapferkeit war
                so groß, daß er alle seine Nachbarn besiegte und niederwarf und seinem
                Sohn Salomo das Reich im Frieden hinterließ. Salomo konnte es durch
                die Künste des Friedens und des Krieges erhalten und die Früchte der

                väterlichen Tapferkeit glücklich genießen. Nicht so konnte er das Reich
                seinem Sohne Rehabeam hinterlassen, und da dieser an Tapferkeit dem
                Großvater und an Glück dem Vater nachstand, behielt er kaum den
                sechsten Teil seines Erbes. Der türkische Sultan Bajesid, der den Frieden
                mehr liebte als den Krieg, konnte die Früchte der Anstrengungen seines
                Vaters Mohammed genießen, Mohammed II. (1451-81) eroberte 1453
                Konstantinopel und unterwarf den Peleponnes, Epirus, Albanien und

                Bosnien. Die Regierung seines Sohnes Bajesid II. (1481-1512) war
                tatenlos. der seine Nachbarn wie David niedergeworfen hatte und ihm





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