Page 740 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Siebzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                    Ein verderbtes Volk, das zur Freiheit gelangt, kann sich nur mit
                                      größter Schwierigkeit frei erhalten.


                Ich glaube, entweder mußten die Könige in Rom ausgerottet werden,
                oder Rom wäre in Kürze schwach und kraftlos geworden. Denn bedenkt
                man, wie verderbt die Könige geworden waren, so brauchten nur noch
                zwei bis drei solcher Regenten zu folgen, und ihre Verderbtheit hätte sich

                durch die Glieder des Staatskörpers verbreitet; in diesem Fall aber war
                eine Neuordnung des Staates unmöglich. Da jedoch das Haupt fiel, als
                der Körper noch unversehrt war, so konnte man leicht zu einer freien,
                geordneten Verfassung zurückkehren.
                     Es muß als unumstößliche Wahrheit gelten, daß ein verderbter Staat,

                der unter einem Fürsten lebt, nie frei werden kann, auch wenn der Fürst
                mit seinem ganzen Stamm vertilgt wird; vielmehr wird ein Fürst nur den
                andern verdrängen. Ohne sich einen neuen Herrn zu geben, kommt
                dieser Staat also nie zur Ruhe; es müßte denn einer, der Güte mit Kraft
                paart, ihm die Freiheit erhalten. Aber selbst dann wird die Freiheit mit
                dem Tode dieses Mannes ein Ende nehmen. So erging es Syrakus mit
                Dion und Timoleon, S. Kap. 10, Anm. 29. deren Tugend die Stadt zu

                verschiedenen Zeiten frei erhielt, solange sie lebten; nach ihrem Tode
                aber fiel sie in die alte Tyrannenherrschaft zurück. Das schlagendste
                Beispiel jedoch bietet Rom; denn nach der Vertreibung der Tarquinier
                konnte es sofort die Freiheit ergreifen und behaupten, aber nach der
                Ermordung Cäsars, Caligulas und Neros und dem Verlöschen des ganzen
                julischen Hauses konnte es die Freiheit nicht nur nicht behaupten,

                sondern nicht einmal einen Anlauf dazu nehmen. Solche Verschiedenheit
                der Wirkung in ein und derselben Stadt erklärt sich nur daraus, daß das
                römische Volk zur Zeit der Tarquinier noch unverdorben, in der späteren
                Zeit aber durchaus verderbt war. Um es der Königsherrschaft feind zu
                erhalten, genügte damals der Schwur, nie Könige in Rom zu dulden.
                Später aber reichte das Ansehen und die Strenge des Brutus samt allen
                Legionen des Ostens nicht hin, um es zur Erhaltung der Freiheit zu

                bewegen, die ihm Brutus gleich seinem Ahnherrn wieder geschenkt
                hatte. 509 v. Chr. stürzte Lucius Junius Brutus die Targuinier, 44 v. Chr.





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