Page 735 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Fünfzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                     Wie die Samniter in verzweifelter Lage die Religion als letztes
                                               Hilfsmittel benutzten.


                Die Samniter hatten mehrere Niederlagen durch die Römer erlitten und
                waren zuletzt in Etrurien geschlagen worden. Im dritten Samniterkrieg
                (298-90 v. Chr.), insbesondere bei Sentinum (295). Ihre Heere und
                Feldherren waren gefallen, ihre Bundesgenossen, die Etrusker, Gallier

                und Umbrer besiegt; nec suis, nec externis viribus iam stare
                poterant, tamen bello non abstinebant, adeo ne infeliciter
                quidem defensae libertatis taedebat, et vinci quam non
                temptare victoriam malebant. Livius X, 31. (Obwohl sie sich weder
                durch eigne noch durch fremde Kraft aufrechterhalten konnten, ließen sie
                doch nicht vom Kriege. Trotz aller Mißerfolge wurden sie der

                Verteidigung der Freiheit nicht überdrüssig und wollten lieber besiegt
                werden als den Sieg nicht versuchen.) So beschlossen sie denn, die letzte
                Probe zu machen. Da sie nun wußten, daß sie zum Siegen den Soldaten
                zähen Willen einflößen mußten, hierzu aber die Religion das beste Mittel
                bietet, kamen sie auf den Gedanken, durch ihren Priester Ovius Paccius

                einen alten Opferbrauch zu erneuern. Diese Zeremonie vollzog sich
                folgendermaßen. Als das feierliche Opfer vollbracht war und alle
                Anführer des Heeres zwischen den geschlachteten Opfertieren und den
                flammenden Altären geschworen hatten, nicht aus dem Kampfe zu
                weichen, riefen sie die Krieger einzeln herbei und ließen sie zwischen
                den Altären im Kreise vieler Hauptleute mit gezücktem Schwert in der
                Hand zuerst schwören, nichts von dem, was sie hören oder sehen

                würden, zu sagen. Dann ließen sie sie mit furchtbaren Worten und
                grauenvollen Sprüchen schwören und den Göttern geloben, den Befehlen
                ihrer Feldherren in allem zu gehorchen, nicht aus dem Kampfe zu
                weichen und jeden, den sie fliehen sähen, niederzumachen, widrigenfalls
                der Fluch die Häupter ihrer Familie und ihr ganzes Geschlecht treffen
                sollte. Als einige Soldaten erschraken und nicht schwören wollten,

                wurden sie sofort von ihren Hauptleuten niedergemacht, worauf alle
                Nachfolgenden, durch die Furchtbarkeit dieses Anblicks erschreckt, den
                Eid leisteten. Um den Glanz des Heeres noch zu erhöhen, hatten sie die
                Hälfte ihrer Streiter, die sich auf 40 000 Mann beliefen, mit weißen




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