Page 730 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ihrer weltlichen Macht fürchtete, einen Machthaber herbeizurufen, der
sie gegen jeden verteidigte, der ihr in Italien zu mächtig geworden war.
Es gibt ja ältere Beispiele genug dafür, z.B. Karl den Großen, mit dessen
Hilfe die Kirche die Longobarden vertrieb, 774 unterwarf Karl der
Große; vom Papst Hadrian I. herbeigerufen, den Langobardenkönig
Desiderius. die sich schon fast ganz Italien unterworfen hatten. Ebenso
brach sie in unsern Tagen mit Hilfe Frankreichs die Macht der
Venezianer Durch die Schlacht bei Agnadello oder Vailà (1509). Vgl.
Lebenslauf, 1509. und vertrieb dann mit Hilfe der Schweizer die
Franzosen. Papst Julius II. hatte 1510 mit Venedig Frieden gemacht und
1511 mit Spanien und Venedig die »Heilige Liga« gegen Frankreich
geschlossen. Weiteres s. Lebenslauf, 1511/12. Da also die Kirche nicht
imstande war, Italien zu erobern, aber auch nicht erlaubte, daß es von
einem andern erobert wurde, hat sie es verschuldet, daß es nicht unter ein
Oberhaupt kam, sondern unter vielen Fürsten und Herren blieb. Dadurch
entstand solche Uneinigkeit und Schwäche, daß Italien nicht nur zur
Beute mächtiger Barbaren, sondern eines jeden wurde, der es angriff.
Das danken wir Italiener der Kirche und niemand anderem.
Wer sich durch eigne Erfahrung von dieser Wahrheit überzeugen
wollte, der müßte die Macht haben, den römischen Hof mit allem
Ansehen, das er in Italien hat, nach der Schweiz zu versetzen, dem
einzigen Lande, wo man heute noch in Religion und Kriegswesen nach
den Regeln der Alten lebt. Dann würde er sehen, daß die schlimmen
Sitten dieses Hofes in jenem Lande mehr Unordnung hervorrufen
würden, als irgendein Unglück dort je hätte anrichten können.
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