Page 725 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Elftes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                                          Von der Religion der Römer.


                Roms erster Gründer war Romulus; ihm hat es wie eine Tochter Geburt
                und Erziehung zu danken. Doch die Götter hielten seine Einrichtungen
                für ein so großes Reich nicht für ausreichend und gaben dem römischen
                Senat ein, den Numa Pompilius zu seinem Nachfolger zu ernennen,
                damit er ergänzte, was jener verabsäumt hatte. Numa fand ein noch ganz

                wildes Volk vor und wollte es durch die Künste des Friedens an
                bürgerlichen Gehorsam gewöhnen. In der Religion erkannte er die
                notwendigste Stütze der bürgerlichen Ordnung, und er richtete sie so ein,
                daß jahrhundertelang nirgends größere Gottesfurcht herrschte als in der
                römischen Republik. Jede Unternehmung des Senats oder der großen

                Männer Roms wurde dadurch erleichtert. Aus zahllosen Handlungen des
                gesamten Volkes oder einzelner Römer sieht man, daß die Bürger sich
                mehr scheuten, ihren Eid zu brechen, als die Gesetze zu übertreten, weil
                sie Gottes Macht höher achteten als die der Menschen. Das sieht man
                deutlich am Beispiel des Scipio und des Manlius Torquatus.
                     Nach der Niederlage der Römer bei Cannä durch Hannibal hatten
                sich viele Bürger versammelt und waren in ihrer Angst und Bestürzung

                übereingekommen, Italien zu verlassen und nach Sizilien überzusetzen.
                Als Scipio das erfuhr, trat er unter sie und zwang sie mit gezücktem
                Schwert zu dem Schwur, das Vaterland nicht zu verlassen. Lucius
                Manlius, der Vater des Titus Manlius, der später den Beinamen
                Torquatus erhielt, war von dem Volkstribunen Marcus Pomponius
                angeklagt worden; aber noch vor dem Gerichtstage ging Titus zu

                Pomponius und drohte ihn zu töten, wenn er nicht schwöre, die Anklage
                gegen seinen Vater zurückzuziehen. 362 v. Chr. Vgl. Livius VII, 4.
                Pomponius schwor aus Furcht und nahm die Anklage zurück. So wurden
                die Bürger, die die Liebe zum Vaterlande und dessen Gesetze nicht in
                Italien zurückhielten, durch einen erzwungenen Eid zurückgehalten, und
                der Tribun setzte seinen Haß gegen den Vater, die Beleidigung durch den
                Sohn und seine eigne Ehre beiseite, um den geleisteten Schwur zu

                halten. Beides hatte seinen Grund nur in der Religion, die Numa in Rom
                eingeführt hatte. Vgl. Polybios, X, 2,14.





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