Page 727 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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der starke Arm seines Fürsten fehlt. Deshalb sind Reiche, die nur auf
dem Verdienst eines Mannes beruhen, von kurzer Dauer, und nur selten
wird sein Verdienst durch die Erbfolge erneuert. Sehr wahr sagt Dante:
Purgatorio, VII, 121 ff.
Nur selten pflanzt sich weiter in den Sprossen
Der Menschen Tugend; also hat's ihr Geber,
Damit man sie von ihm erfleht, beschlossen.
Das Heil einer Republik oder eines Reiches beruht also nicht auf einem
Fürsten, der zeitlebens weise regiert, sondern darauf, daß er dem Staat
Einrichtungen gibt, durch die er sich auch nach seinem Tode erhalten
kann. Zwar lassen sich rohe Menschen leichter zu einer neuen
Einrichtung oder Ansicht überreden, aber das schließt nicht aus, daß man
auch gebildete Menschen, die sich nicht für roh halten, davon überzeugt.
Das Volk von Florenz hält sich weder für roh noch für unwissend, und
doch ließ es sich von Bruder Girolamo Savonarola S. Kap. 7, Anm. 1.
überreden, daß er mit Gott spräche. Ob dies zutraf oder nicht, will ich
nicht entscheiden, denn von einem solchen Manne muß man mit
Ehrfurcht reden. Aber ich sage, daß unzählige ihm glaubten, ohne irgend
etwas Außerordentliches gesehen zu haben, das ihren Glauben
rechtfertigte. Denn sein Wandel, seine Lehre, der Gegenstand, den er
erfaßte, genügten, um ihm Glauben zu verschaffen. Deshalb verzweifle
niemand, das ausführen zu können, was andre ausgeführt haben; denn
wie ich in meiner Vorrede sagte, sind die Menschen in Geburt, Leben
und Tod stets dem gleichen Gesetz unterworfen.
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