Page 731 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Dreizehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Wie die Römer die Religion benutzten, um den Staat zu ordnen, ihre
                     Unternehmungen zu fördern und Aufstände zu unterdrücken.


                Es scheint mir nicht unangebracht, ein paar Beispiele anzuführen, wie
                die Römer die Religion benutzten, um die Ordnung im Staat
                wiederherzustellen und ihre Unternehmungen zu fördern. Bei Titus
                Livius finden sich viele, ich will mich aber mit den folgenden begnügen.

                     Das römische Volk hatte Tribunen mit konsularischer Gewalt
                gewählt, und zwar alle bis auf einen aus den Plebejern. Im selben Jahre
                398 v. Chr. Vgl. Livius V, 13 f. brachen Pest und Hungersnot aus, und
                gewisse Wunderzeichen erschienen. Das benutzten die Adligen bei der
                nächsten Tribunenwahl und sagten, die Götter seien erzürnt, weil Rom

                die Majestät seiner Herrschaft mißbraucht habe, und es gäbe kein andres
                Mittel, sie zu versöhnen, als bei der Wahl der Tribunen zum alten Brauch
                zurückzukehren. Die Folge war, daß das Volk, durch die Religion
                geschreckt, alle Tribunen aus dem Adel wählte.
                     Auch bei der Belagerung von Veji 406-396 v. Chr. sieht man, wie die
                Feldherren die Religion benutzten, um ihre Heere willig zu erhalten. Der
                Albaner See war in jenem Jahre 397 v. Chr. Vgl. Livius V, 15.

                außergewöhnlich gestiegen, und die Soldaten, der langen Belagerung
                überdrüssig, wollten nach Hause zurückkehren. Da fanden die Römer
                heraus, daß Apollo und gewisse andre Orakelsprüche sagten, die Stadt
                Veji werde in dem Jahre erobert werden, wo der Albaner See über die
                Ufer trete. Dies bewirkte, daß die Soldaten wieder Hoffnung faßten, die
                Stadt zu erobern. Sie ertrugen die Beschwerden des Krieges und der

                Belagerung und fügten sich in deren Fortsetzung, bis Camillus, zum
                Diktator ernannt, die Stadt nach zehnjähriger Belagerung eroberte. So
                verhalf die gute Benutzung der Religion sowohl zur Eroberung von Veji
                wie zur Wiederwahl der Tribunen aus dem Adel, was beides ohne dies
                Mittel schwerlich erfolgt wäre.
                     Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch ein andres Beispiel anführen.
                In Rom waren bedeutende Unruhen ausgebrochen, und zwar weil der

                Tribun Terentilius ein bestimmtes Gesetz, von dem wir später reden
                werden, S. Kap. 39. durchbringen wollte. Als hauptsächliches





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