Page 738 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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verpflichtet. Überdies wird der allgemeine Vorteil einer freien
                Verfassung, daß man frei und ohne Sorge sein Eigentum genießen kann,
                daß man nicht für die Ehre der Frauen und Kinder zu bangen, nicht für

                sich selbst zu fürchten braucht, von niemand anerkannt, solange man ihn
                besitzt; denn nie wird jemand einem Dank dafür wissen, daß er ihm kein
                Unrecht tut. Darum wird ein neu entstehender Freistaat wohl Feinde,
                aber keine Freunde haben.
                     Um aber den Mißständen und Wirren abzuhelfen, die aus diesen
                Schwierigkeiten entspringen, gibt es kein kräftigeres, wirksameres,
                heilsameres und notwendigeres Mittel, als die Söhne des Brutus

                hinzurichten. Denn wie die Geschichte zeigt, wurden sie und andre
                römische Jünglinge nur dadurch zur Verschwörung gegen das Vaterland
                verleitet, daß sie sich unter den Konsuln nicht so viel herausnehmen
                konnten wie unter den Königen, so daß ihnen die Volksfreiheit zur
                eignen Knechtschaft geworden schien. Wer daher die Regierung eines
                Volkes übernimmt, sei es in freiheitlichen oder in monarchischen

                Formen, und sich nicht vor den Gegnern dieser neuen Ordnung sichert,
                dessen Staat wird nicht lange bestehen. Allerdings halte ich die Fürsten
                für beklagenswert, die die Menge zum Feinde haben und sich daher
                gewaltsamer Mittel bedienen müssen. Denn ein Fürst, der die Wenigen
                zu Feinden hat, sichert sich leicht und ohne große Unruhen; wer aber die
                Masse zum Feinde hat, sichert sich nie, und je mehr Grausamkeiten er
                begeht, desto schwächer wird seine Herrschaft. Für ihn gibt es also kein

                besseres Mittel, als sich das Volk zum Freunde zu machen. Diese
                Erörterung paßt zwar nicht zu der Überschrift, da ich hier von einem
                Fürsten und dort von einer Republik rede, aber um nicht nochmals auf
                den Gegenstand zurückzukommen, will ich mich kurz darüber
                aussprechen.
                     Will also ein Fürst ein ihm feindlich gesinntes Volk gewinnen, und

                zwar rede ich hier von Fürsten, die Tyrannen ihres Vaterlandes geworden
                sind, so muß er zuerst prüfen, was das Volk wünscht, und stets wird er
                zwei Wünsche finden: erstens, sich an denen zu rächen, die seine
                Knechtschaft verschuldet haben, und zweitens, seine Freiheit
                wiederzuerlangen. Den ersten Wunsch kann der Fürst voll befriedigen,
                den zweiten teilweise. Für den ersten gibt es ein treffendes Beispiel. Als
                Klearchos, der Tyrann von Herakleia, 363-52 v. Chr. verbannt war, brach

                zwischen dem Volk und den Vornehmen von Herakleia ein Streit aus. Da
                die Vornehmen sich im Nachteil sahen, beschlossen sie, den Klearchos
                zu begünstigen. Sie verschworen sich mit ihm, führten ihn gegen den
                Willen des Volkes nach Herakleia zurück und nahmen dem Volke die





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