Page 864 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                  Geld ist nicht der Nerv des Krieges, wie man gewöhnlich annimmt.


                Da jeder einen Krieg nach Belieben anfangen, nicht aber beenden kann,
                so muß ein Fürst, ehe er an ein solches Unternehmen geht, seine Kräfte
                messen und danach handeln. Er muß aber so klug sein, daß er sich über
                seine Kräfte nicht täuscht, und er wird sich jedesmal täuschen, wenn er
                sie nach dem Geldvorrat, der Lage des Landes oder der Zuneigung seiner

                Untertanen bemißt, andrerseits aber keine eigne Kriegsmacht hat. Die
                genannten Dinge steigern seine Kräfte zwar, aber sie geben ihm keine.
                An und für sich sind sie nichts und helfen ohne ein treues Heer gar
                nichts. Denn ohne dieses reicht viel Geld nicht hin, die gesicherte Lage
                des Landes nützt nichts, und die Treue und Anhänglichkeit der

                Untertanen ist nicht von Dauer, weil sie nicht treu sein können, wenn
                man sie nicht verteidigen kann. Gebirge, Seen, unzugängliche Orte
                werden zur Ebene, wenn es an tapferen Verteidigern fehlt. Auch das
                Geld verteidigt dich nicht etwa, sondern bewirkt nur, daß du schneller
                beraubt wirst. Es kann daher nichts Falscheres geben als das Sprichwort:
                Geld ist der Nerv des Krieges.
                     Dies Wort sagt Quintus Curtius vom Kriege des Mazedoniers

                Antipater mit dem König von Sparta, Antipater, Feldherr Alexanders des
                Großen, schlug den König Agis III. (388-330) von Sparta in der Schlacht
                bei Megalopolis (330), in der dieser fiel. wo er erzählt, der König sei
                durch Geldmangel zu einer Schlacht gezwungen und geschlagen worden.
                Hätte er den Kampf um ein paar Tage hinausgeschoben so wäre die
                Nachricht vom Tode Alexanders nach Griechenland gelangt, und er wäre

                ohne Schwertstreich Sieger geblieben. Da es ihm aber an Geld fehlte,
                fürchtete er, von seinem Heere verlassen zu werden, und war
                gezwungen, das Schlachtenglück zu versuchen. Aus diesem Grunde
                behauptet Curtius, Geld sei der Nerv des Krieges.
                     Dies Wort wird täglich angeführt und von Fürsten ohne genügende
                Einsicht befolgt. Denn im Vertrauen darauf halten sie einen vollen
                Schatz zu ihrer Verteidigung für hinreichend und bedenken nicht, daß,

                wenn Schätze zum Siegen genügten, Darius den Alexander besiegt hätte,
                die Griechen die Römer, in unsrer Zeit Karl der Kühne die Schweizer, S.





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