Page 869 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zwölftes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                   Was besser ist, wenn man einen Angriff befürchtet, loszuschlagen
                                          oder den Krieg abzuwarten.


                Ich habe manchmal sehr kriegserfahrene Männer darüber streiten hören,
                ob ein Fürst, wenn ein ziemlich gleichmächtiger, aber kühnerer Nachbar
                ihm den Krieg erklärt, besser daran täte, den Feind im eignen Lande zu
                erwarten, oder den Krieg in Feindes Land zu führen. Für beides habe ich

                Gründe anführen hören.
                     Für den Krieg in Feindesland wurde der Rat angeführt, den Krösos
                dem Kyros gab, als dieser an der Grenze der Massageten angekommen
                war, um sie zu bekriegen, und die Königin Tamyris ihn vor die Wahl
                stellte, in ihr Reich einzudringen, wo sie ihn erwarten wollte, oder zu

                warten, bis sie ihm entgegenzöge. Als hierüber gestritten wurde, war
                Krösos im Gegensatz zu den übrigen dafür, ihr entgegenzuziehen, denn
                wenn Kyros sie fern von ihrem Reiche besiegte, würde er ihr die
                Herrschaft nicht entreißen, weil sie dann Zeit zur Erholung hätte;
                besiegte er sie aber innerhalb ihrer Grenzen, so könnte er sie auf der
                Flucht verfolgen, ihr keine Zeit zur Erholung lassen und ihr das Reich
                entreißen. Nach Herodot I, 207. Der ältere Kyros fiel 529 v. Chr. im

                Kampf mit den Massageten. Man führt auch den Rat an, den Hannibal
                dem König Antiochos gab, als dieser den Römern den Krieg erklären
                wollte. Hannibal bewies ihm, die Römer könnten nur in Italien besiegt
                werden, Livius XXXII, 60. denn hier könne man sich ihre eignen
                Waffen, ihre Reichtümer und Bundesgenossen zunutze machen. Wer sie
                aber außerhalb Italiens bekämpfe und ihnen Italien freigebe, lasse ihnen

                die unversiegliche Quelle, aus der sie Kräfte schöpfen könnten, soviel sie
                brauchten. Er schloß daher, man könne den Römern eher Rom als das
                Reich, eher Italien als die Provinzen entreißen. Man führt auch
                Agathokles an, Der Tyrann Agathokles von Syrakus (361-289)
                bekämpfte 311 bis 306 die Karthager mit wechselndem Glück. Sein
                Einfall in Afrika endete zwar mit einem Mißerfolg, bestimmte aber die
                Karthager zum Frieden und zum Verzicht auf Sizilien. Vgl. Livius

                XXXVIII, 43. der, als er den Krieg in der Heimat nicht fortsetzen
                konnte, die Karthager in ihrem eignen Land angriff und sie zwang, um





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