Page 871 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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mit Hilfe besserer Landeskenntnis dessen Pläne besser vereiteln, kann
                ihm mit mehr Streitkräften entgegentreten. Denn im Lande kann man
                leicht seine ganze Macht zusammenziehen, sie aber nicht ganz außer

                Landes führen. Wird man geschlagen, so kann man sich leichter erholen,
                denn viele Soldaten werden sich nach den nahen Zufluchtsorten retten;
                auch braucht der Ersatz nicht von weither geholt werden. Man braucht
                also seine ganze Macht, setzt aber nicht sein ganzes Glück aufs Spiel.
                Beim Verlassen des eignen Landes jedoch wagt man sein ganzes Glück,
                nicht aber die ganze Macht. Um den Feind mehr zu schwächen, hat man
                ihn sogar einige Tagesmärsche ins Land rücken und ihn einige Städte

                einnehmen lassen, damit er sein Heer durch Besatzungen schwächt und
                man ihn um so leichter schlagen kann.
                     Um nun aber auch meine Meinung zu sagen, glaube ich, man muß
                folgenden Unterschied machen. Entweder ich habe ein bewaffnetes
                Land, wie die Römer und Schweizer, oder ich habe ein unbewaffnetes
                Land, wie die Karthager, der König von Frankreich und die Italiener. In

                diesem Fall muß ich mir den Feind fernhalten; denn da meine Kraft im
                Geld und nicht in den Menschen liegt, bin ich allemal verloren, wenn mir
                der Weg dazu abgeschnitten ist, und nichts schneidet ihn so sehr ab, wie
                Krieg im eignen Lande. Ein Beispiel dafür sind die Karthager. Solange
                ihr Land frei war, vermochten sie mit Hilfe ihrer Einnahmen Krieg mit
                den Römern zu führen, als aber ihr Land angegriffen wurde, konnten sie
                nicht einmal dem Agathokles widerstehen. S. den Anfang des Kapitels.

                Die Florentiner wußten sich keine Hilfe gegen Castruccio, den Herrn von
                Lucca, S. Seite 149, Anm. 26. weil er sie im eignen Lande bekriegte, so
                daß sie sich zu ihrer Verteidigung dem König Robert von Neapel
                unterwerfen mußten. Als aber Castruccio tot war, hatten dieselben
                Florentiner Mut genug, den Herzog von Mailand in seinem Land
                anzugreifen und ihn um seine Herrschaft zu bringen. So tapfer waren sie

                in Kriegen außer Landes und so feig in einem einheimischen!
                     Sind dagegen die Reiche bewaffnet, wie früher Rom und jetzt die
                Schweiz, dann sind sie um so schwerer zu besiegen, je näher man ihnen
                kommt. Solche Körper können mehr Kräfte zum Widerstand vereinen als
                zum Angriff. Hannibals Autorität kann mich in diesem Fall nicht
                irremachen, denn die Leidenschaft und sein Vorteil ließen ihn so zu
                Antiochos sprechen. Hätten die Römer in so kurzer Zeit drei Niederlagen

                in Gallien erlitten, wie durch Hannibal in Italien, so waren sie unfehlbar
                verloren, denn sie hätten die Überbleibsel des Heeres nicht so benutzen
                können wie in Italien, hätten sich nicht so leicht wieder erholt und daher
                dem Feind nicht mit solchen Kräften Widerstand leisten können. Man





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