Page 874 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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allein auskommen. Da nun Rom durch Zufall oder mit Vorbedacht alle
                nötigen Mittel ergriff, um zur Größe zu gelangen, ließ es auch dies nicht
                unbenutzt. Gleich zu Anfang konnte es keinen größeren Betrug begehen,

                als sich in der oben beschriebenen Weise S. Buch II, Kap. 1 und 4.
                Bundesgenossen zu schaffen, denn unter diesem Namen unterwarf es sie,
                wie die Latiner und andre Nachbarn. Zuerst bediente es sich ihrer
                Waffen, um die Nachbarvölker zu bezwingen und der Republik Ansehen
                zu verschaffen, und nach ihrer Unterwerfung ward es so mächtig, daß es
                jeden unterjochen konnte. Die Latiner merkten ihre völlige Knechtschaft
                erst, als sie die Samniter zweimal geschlagen und zum Frieden

                gezwungen sahen. Denn dieser Sieg verschaffte den Römern zwar großes
                Ansehen bei den entfernten Fürsten, die dadurch den Namen der Römer
                hörten, nicht aber ihre Waffen fühlten; er erregte aber auch Neid und
                Argwohn bei denen, die diese Waffen so sahen und fühlten wie die
                Latiner. Und dieser Neid und diese Furcht vermochten so viel, daß nicht
                allein die Latiner, sondern auch die römischen Kolonien in Latium und

                die noch vor kurzem beschützten Campanier sich gegen den römischen
                Namen verschworen. Die Latiner fingen also den Krieg an, wie nach
                unserer obigen Darlegung S. Buch II, Kap. 9, und Livius VIII, 1 ff. die
                Mehrzahl der Kriege angefangen werden; sie griffen nämlich nicht die
                Römer an, sondern nahmen die Sidiciner gegen die Samniter in Schutz,
                die die Samniter mit Erlaubnis der Römer bekriegten. Daß aber die
                Latiner wirklich den Krieg anfingen, weil sie jenen Betrug durchschaut

                hatten, das bezeugt Livius durch den Mund des latinischen Prätors
                Annius Setinus, der im Senat sagte: Nam si etiam nunc sub umbra
                foederis aequi servitutem pati possumus, etc. Livius VIII, 4.
                (Denn wenn wir auch jetzt unter dem Schein eines Bündnisses
                Gleichberechtigter die Knechtschaft ertragen können usw.) Man sieht
                also, daß Rom es im Beginn seines Wachstums an Betrug nicht fehlen

                ließ, wie sich alle seiner bedienen mußten, die von kleinen Anfängen
                zum höchsten Gipfel der Macht emporsteigen wollen. Das ist um so
                weniger zu tadeln, je versteckter es geschieht, wie es bei den Römern der
                Fall war.




















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