Page 877 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Fünfzehntes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Schwache Staaten sind in ihren Entschlüssen stets schwankend und
langsame Entschließungen stets schädlich.
Aus demselben Gegenstand, dem Ausbruch des Krieges zwischen
Latium und Rom, kann man auch lernen, daß es bei jeder Beratung gut
ist, der Sache auf den Grund zu kommen und nicht immer in Schwanken
und Ungewißheit zu bleiben. Das zeigt sich deutlich bei der Beratung der
Latiner, als sie mit den Römern brechen wollten. Die Römer hatten
nämlich von der Mißstimmung der Latiner erfahren. Um sich der Sache
zu vergewissern und zu versuchen, ob sie dies Volk nicht ohne
Waffengebrauch wiedergewinnen könnten, forderten sie es auf, acht
Bürger nach Rom zu schicken, da sie sich mit ihnen zu beraten hätten.
Die Latiner, die sich vieler Handlungen gegen den Willen Roms bewußt
waren, hielten auf diese Botschaft hin Rat, wer nach Rom gehen und was
der Gesandte sagen solle. Da man im Rate darüber stritt, ergriff der
Prätor Annius das Wort und sagte: Ad summam rerum nostrarum
pertinere arbitror, ut cogitetis magis quid agendum nobis,
quam quid loquendum sit. Facile erit, explicatis consiliis,
accommodare rebus verba. Livius VIII, 4. (Ich glaube, das Wichtigste
für uns ist, zu bedenken, was wir tun, nicht was wir reden sollen. Haben
wir uns über unsre Absichten verständigt, so werden sich die Worte zu
der Sache leicht finden lassen.)
Diese Worte sind unstreitig sehr wahr und sollten von jedem Fürsten
und jeder Republik beherzigt werden. Denn im Schwanken und in
Ungewißheit über das, was geschehen soll, kann man nicht die rechten
Worte finden, ist aber die Seele fest entschlossen und bestimmt, was
geschehen soll, so ist es ein leichtes, die Worte dafür zu finden. Ich hebe
diesen Punkt um so lieber hervor, je öfter ich bemerkt habe, daß solche
Unentschlossenheit die öffentlichen Geschäfte zum Schaden und zur
Schande unsrer Republik oft beeinträchtigt hat. Immer aber wird man in
mißlichen Lagen, wo ein herzhafter Entschluß nötig ist, diese
Unsicherheit finden, wenn schwache Männer zu beraten und zu
beschließen haben.
Nicht weniger schädlich als die Unentschlossenheit sind auch die
langsamen und späten Entschlüsse, zumal wenn man sich zugunsten
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