Page 882 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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stellt die Treffen, um sie stärker zu machen, hintereinander auf, wie die
Römer, trifft aber keine Einrichtung, das erste, wenn es durchbrochen ist,
durch das zweite aufnehmen zu lassen; vielmehr geraten alle Treffen in
Verwirrung und werfen sich selbst zurück. Denn ist das vorderste
geschlagen, so prallt es auf das zweite; will das zweite vorrücken, so
wird es durch das erste gehindert. Es wirft sich also das erste auf das
zweite und dies auf das dritte, und dadurch entsteht solche Unordnung,
daß oft der geringste Zufall ein Heer zugrunde richtet.
In der Schlacht bei Ravenna (1512), in der für unsre Zeit gut
gefochten wurde, und in der der französische Feldherr Gaston de Foix
fiel, war sowohl das französische wie das spanische Heer in der oben
genannten Weise aufgestellt, nämlich in einem einzigen, weit breiteren
als tiefen Treffen. Das geschieht stets, wenn man, wie bei Ravenna, ein
ausgedehntes Schlachtfeld hat. Da man nämlich weiß, welche
Unordnung in tiefen Treffen beim Rückzug entsteht, sucht man ihr
womöglich durch die Aufstellung in breiter Front zu begegnen; ist man
aber durch die Örtlichkeit eingeengt, so läßt man es bei der genannten
Unordnung, ohne an Abhilfe zu denken. In derselben Unordnung zieht
man durch Feindesland, ob man Beute macht oder eine andre
Kriegshandlung vornimmt.
Als Pisa nach dem Einfall Karls VIII. in Italien S. Lebenslauf, 1494.
von Florenz abgefallen war und beide Städte sich bekriegten, wurden die
Florentiner bei San Regolo (1498) im Pisanischen und anderwärts nur
durch die eigne Reiterei geschlagen. Diese stand im ersten Treffen,
wurde geschlagen, prallte auf das Florentiner Fußvolk und durchbrach
es, worauf der Rest des Heeres die Flucht ergriff. Oft hat Messer Ciriaco
dal Borgo, der alte Anführer des Florentiner Fußvolks, in meiner
Gegenwart versichert, er sei immer nur durch die eigne Reiterei
geschlagen worden. Wenn die Schweizer, die Meister in der neuen
Kriegskunst, mit den Franzosen kämpfen, sorgen sie vor allem dafür,
sich so aufzustellen, daß die eigne Reiterei, wenn sie geworfen wird,
nicht auf sie zurückprallt.
Obwohl dies alles leicht verständlich und sehr leicht ausführbar
scheint, hat bisher doch noch keiner unsrer zeitgenössischen Feldherren
die Fechtweise der Alten nachgeahmt und die neuere verbessert. Man
teilt die Heere zwar noch in drei Abteilungen, Vorhut, Hauptmacht und
Nachhut, aber man braucht diese Einteilung nur bei der Lagereinteilung;
in der Schlacht aber kommt es, wie gesagt, selten vor, daß man nicht alle
drei Abteilungen dem gleichen Schicksal preisgibt. Da nun viele zur
Entschuldigung ihrer Unwissenheit anführen, viele Kriegsregeln der
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