Page 884 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Siebzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Welchen Wert man bei den heutigen Heeren auf das Geschütz legen
                      soll, und ob die hohe Meinung, die man allgemein davon hat,
                                                    begründet ist.


                Wenn ich an die vielen Feldschlachten denke, die die Römer zu allen
                Zeiten geliefert haben, so fällt mir eine allgemein verbreitete
                Anschauung ein. Man sagt: Hätte es zu jener Zeit Geschütze gegeben, so

                wäre es den Römern nicht so leicht oder gar nicht möglich gewesen,
                Länder zu erobern und sich Völker tributpflichtig zu machen, kurz, sie
                hätten in keiner Weise so große Eroberungen machen können. Auch wird
                behauptet, man könne seit Erfindung der Feuerwaffen keine solche
                persönliche Tapferkeit mehr zeigen wie in alter Zeit. Drittens wird

                gesagt, es komme jetzt schwerer zur Schlacht als damals, und man könne
                die Fechtweise jener Zeiten nicht mehr innehalten, so daß sich der Krieg
                mit der Zeit ganz auf den Geschützkampf beschränken werde. Ich halte
                es nicht für unangebracht, die Richtigkeit dieser Ansichten zu prüfen und
                zu untersuchen, wieweit das Geschütz die Heere stärker oder schwächer
                gemacht hat und ob es guten Feldherren Gelegenheit zu herzhaftem
                Draufgehen gibt oder nimmt. Ich will daher mit der Erörterung der ersten

                Ansicht beginnen, die Heere der alten Römer hätten ihre Eroberungen
                nicht gemacht, wenn es damals Geschütze gegeben hätte.
                     Darauf antworte ich, daß man entweder einen Angriffskrieg oder
                einen Verteidigungskrieg führt. Daher ist zuerst zu untersuchen, in
                welcher von diesen beiden Kriegsarten das Geschütz mehr Nutzen als
                Schaden bringt. Es lassen sich zwar Gründe für beides anführen, doch

                glaube ich, daß das Geschütz dem Verteidiger ungleich mehr Schaden
                zufügt als dem Angreifer. Mein Grund ist dieser. Der Verteidiger steht
                entweder in einer Stadt oder in einem verschanzten Lager. Die Stadt, in
                der er steht, ist entweder klein, wie die meisten festen Städte, oder groß.
                Im ersteren Fall ist der Verteidiger durchaus verloren, denn die Gewalt
                des Geschützes wirft auch die stärkste Mauer in wenigen Tagen nieder.
                Hat also der Belagerte nicht Raum genug, um sich hinter Wälle und

                Gräben zurückzuziehen, so ist er verloren und kann dem Angriff des
                Feindes durch die Bresche der Mauer nicht standhalten. Auch sein





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