Page 886 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 886
aufzustellen, wenn der Belagerer genug schweres Geschütz hat; muß er
es aber niedrig aufstellen, so ist es großenteils wirkungslos. Die
Verteidigung der Stadt beschränkt sich also, wie in alter Zeit, auf den
Gebrauch der blanken Waffe und des kleinen Gewehrs. Gewährt dieses
aber auch einigen Vorteil, so ist er doch nicht so groß wie der Schaden,
den das schwere Geschütz macht, denn es wirft die Mauern ein und
verschüttet die Gräben, so daß also beim Sturm, wenn Bresche gelegt ist
und die Gräben verschüttet sind, der Verteidiger weit mehr im Nachteil
ist als früher. Darum nützen, wie gesagt, diese Kriegswerkzeuge dem
Belagerer weit mehr als dem Belagerten.
Drittens bezieht man ein verschanztes Lager, um eine Schlacht nur
mit Vorteil und wenn es einem paßt zu liefern. In dieser Hinsicht hat man
jetzt gewöhnlich kein besseres Mittel, eine Schlacht zu vermeiden, als
die Alten, ja wegen des Geschützes ist man bisweilen mehr im Nachteil.
Denn rückt der Feind dir auf den Leib und hat er, was leicht geschehen
kann, etwas Vorteil im Gelände, d.h. steht er etwas höher, oder sind,
wenn er anrückt, deine Wälle noch nicht fertig und du noch nicht
genügend gedeckt, so treibt er dich unweigerlich sofort aus deiner
Stellung heraus und zwingt dich zur Schlacht außerhalb deiner
Befestigungen.
So ging es den Spaniern in der Schlacht bei Ravenna (1512). Sie
hatten sich zwischen dem Roncofluß und einem Damm verschanzt; da
dieser aber nicht hoch genug war und die Franzosen etwas Vorteil im
Gelände hatten, wurden sie durch das feindliche Geschützfeuer aus ihren
Verschanzungen herausgetrieben und zur Schlacht gezwungen. Aber
gesetzt auch, wie es meistens der Fall sein wird, du hättest dir zu deinem
Lager einen Ort ausgesucht, der die Umgegend beherrscht, die
Verschanzungen wären gut und fest, so daß der Feind dich wegen deiner
Stellung und deiner andern Maßnahmen nicht anzugreifen wagt, so wird
er das tun, was man von alters her tat, wenn sich ein Heer in einer
unangreifbaren Stellung befindet, nämlich das Land verwüsten, die mit
dir verbündeten Städte nehmen oder belagern, dir die Lebensmittel
abschneiden, bis du durch den Mangel gezwungen bist, deine Stellung zu
verlassen und eine Schlacht zu liefern, in der, wie unten gesagt wird, das
Geschütz nicht viel ausrichtet. Bedenkt man nun, daß die Römer fast nur
Angriffskriege und keine Verteidigungskriege führten, so wird man
sehen, wenn das oben Gesagte wahr ist, daß sie in unsrer Zeit noch mehr
im Vorteil gewesen wären und ihre Eroberungen noch schneller gemacht
hätten, wenn es damals Geschütze gegeben hätte.
885