Page 891 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Fußvolk noch nicht zu ordnen verstand; als man es aber lernte, sah man
sofort dessen große Vorzüge ein. Es soll damit nicht gesagt werden, daß
die Reiterei bei den Heeren ganz überflüssig sei. Man braucht sie zur
Aufklärung wie zum Furagieren und Beutemachen, zur Verfolgung des
geschlagenen Feindes und zur Abwehr der feindlichen Reiterei. Aber die
Grundlage und der Kern des Heeres und sein wertvollster Teil muß das
Fußvolk sein.
Die größte unter allen Sünden der italienischen Fürsten, die Italien
zur Sklavin der Fremden gemacht haben, war die, daß sie das Fußvolk
vernachlässigten und ihre ganze Sorgfalt der Reiterei zuwandten. Dieser
Mißbrauch kommt von der Selbstsucht der Condottieri und von der
Unwissenheit der Staatsleiter. Seit 25 Jahren ist das Kriegswesen Italiens
in die Hände von vaterlandslosen Glücksrittern gefallen. Sie waren von
Anfang an darauf bedacht, sich dadurch Ansehen zu verschaffen, daß sie
bewaffnet, die Fürsten aber unbewaffnet blieben. Da ihnen nun eine
große Anzahl Fußtruppen nicht dauernd bezahlt werden konnte Die
Condottieri waren nicht nur Feldhauptleute, sondern auch die
Unternehmer des Kriegsgeschäfts, denen für ihre Condotta das Geld
ausgezahlt wurde, mit dem sie ihre Söldner bezahlen mußten. und sie
keine Landeskinder benutzen konnten, eine geringe Zahl ihnen aber kein
Ansehen gab, so hielten sie sich Reiter, weil zwei bis dreihundert, die
sich ein Condottiere bezahlen ließ, ihm Ansehen verschafften und ihr
Sold nicht so hoch war, daß die Fürsten ihn nicht hätten erschwingen
können. Um sich dies zu erleichtern und sich im größeren Ansehen zu
erhalten, setzten sie das Fußvolk auf alle Weise herab und strichen ihre
Reiter heraus. Dieser Mißbrauch nahm so überhand, daß auch in den
größten Heeren das Fußvolk nur noch einen geringen Bruchteil bildete,
und er machte in Verbindung mit vielen andern Übelständen das
italienische Kriegswesen so schwach, daß Italien von allen Nordländern
mühelos mit Füßen getreten wurde.
Noch deutlicher zeigt ein andres römisches Beispiel, wie verkehrt es
ist, die Reiterei über das Fußvolk zu stellen. Als die Römer Sora
belagerten, Vielmehr bei der Belagerung vom Saticula, 316 v. Chr. Vgl.
Livius IX, 22. machte die feindliche Reiterei einen Ausfall und griff das
römische Lager an. Der Reiteroberst warf sich ihr mit der römischen
Reiterei entgegen, und der Zufall wollte, daß beim ersten Anprall beide
Reiterführer fielen. Als der Kampf ohne Führer fortgesetzt wurde, saßen
die Römer ab, um den Feind leichter zu überwinden, zwangen die
feindliche Reiterei, zu ihrer Verteidigung ein Gleiches zu tun, und
behielten den Sieg. Kein Beispiel könnte deutlicher beweisen, daß das
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