Page 896 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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die in Deutschland geführt wurden, sind die zwischen den Schweizern
und dem Herzog von Österreich, und obwohl seit vielen Jahren der
Kaiser und der Herzog von Österreich eine Person ist, so konnte er doch
nie den kühnen Mut der Schweizer überwinden, und es kam nie anders
zu einem Vergleich als durch Gewalt. Auch hat ihm das übrige
Deutschland nicht viel Hilfe geleistet, denn die freien Städte mochten
nicht gegen Leute kämpfen, die wie sie frei leben wollten, und die
Fürsten können es teils wegen ihrer Armut nicht, teils wollen sie es nicht
aus Eifersucht auf seine Macht. So können sich also die freien Städte mit
ihrer kleinen Herrschaft begnügen, weil sie mit Rücksicht auf die
kaiserliche Gewalt keinen Grund haben, eine größere zu wünschen.
Innerhalb ihrer Mauern aber müssen sie in Eintracht leben, weil ihr Feind
nahe ist und sofort die Gelegenheit benutzen würde, sie bei inneren
Zwistigkeiten zu unterjochen. Lägen die Verhältnisse in Deutschland
anders, so müßten sie sich zu vergrößern suchen und aus ihrer Ruhe
heraustreten.
Da nun sonst nirgends solche Verhältnisse vorkommen, kann man
nicht auf solchem Fuß leben und muß sich entweder durch Bündnisse
oder auf die Art der Römer vergrößern. Wer anders handelt, sucht nicht
sein Leben, sondern seinen Tod und seinen Untergang. Denn auf
tausendfache Art und aus vielen Ursachen sind Eroberungen schädlich.
Es trifft sich oft, daß man ein großes Gebiet erobert und doch keine
Macht erringt; wer aber Gebiet ohne Macht erwirbt, geht notwendig
zugrunde. Wer durch den Krieg verarmt, auch wenn er siegt, kann keine
Macht erwerben, weil er bei den Eroberungen mehr zusetzt als gewinnt,
wie es bei Venedig und Florenz der Fall war. Als jenes die Lombardei
und dieses Toskana besaß, waren sie viel schwächer als zu der Zeit, wo
Venedig sich mit dem Meer und Florenz sich mit einem Gebiet von zwei
Meilen begnügte. Das alles kam nur daher, daß sie erobern wollten und
nicht den richtigen Weg einzuschlagen verstanden. Sie sind um so
tadelnswerter, je weniger sie sich entschuldigen können, da sie ja den
Weg sahen, den die Römer eingeschlagen hatten, und ihrem Beispiel
folgen konnten, während die Römer diesen Weg ohne jedes Vorbild aus
eigner Klugheit fanden.
Außerdem bringen Eroberungen auch wohlgeordneten Republiken
manchmal erheblichen Schaden, wenn ein Land oder eine Stadt voller
Üppigkeit erobert wird. Denn durch den Verkehr mit den Einwohnern
kann der Sieger leicht deren Sitten annehmen. So erging es zuerst Rom,
dann dem Hannibal bei der Eroberung Capuas. Wäre diese Stadt weiter
von Rom abgelegen, mithin für die Verirrungen der Soldaten keine
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