Page 901 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Bekanntlich wurde Genua mehrfach von den Franzosen erobert, und der
König schickte jedesmal, außer jetzt, einen Statthalter hin, der in seinem
Namen regierte. Nur jetzt Vor 1522, wo Genua von den Kaiserlichen
zurückerobert wurde. Vgl. Buch II, Kap. 24. hat er, nicht aus gutem
Willen, sondern durch die Not gezwungen, der Stadt ihre eigne
Regierung unter einem genuesischen Statthalter belassen. Und fürwahr,
wenn man prüfen wollte, welche von beiden Methoden die Herrschaft
des Königs mehr sichert und das Volk mehr zufriedenstellt, so wird man
unzweifelhaft die letztere gutheißen.
Überhaupt werfen sich einem die Menschen um so eher in die Arme,
je weiter man davon entfernt scheint, sie zu unterjochen, und sie fürchten
um so weniger um ihre Freiheit, je leutseliger und freundlicher man zu
ihnen ist. Diese Freundlichkeit und Großmut bewog die Capuaner, die
Römer um einen Prätor zu bitten; hätten die Römer aber die mindeste
Lust gezeigt, ihn hinzuschicken, so wären jene sofort eifersüchtig
geworden und hätten sich von ihnen abgewandt. Doch warum brauche
ich Beispiele aus Capua und Rom zu holen, da sie mir Florenz und
Toskana liefert?
Jedermann weiß, seit wie lange Pistoja sich freiwillig unter
florentinische Herrschaft begab. 1351. Ebenso weiß jeder, welche
Feindschaft zwischen Florenz, Pisa, Lucca und Siena herrschte. Diese
Verschiedenheit der Gesinnung kam nicht daher, daß die Einwohner von
Pistoja ihre Freiheit weniger schätzten als die andern und sich nicht für
ebenso gut hielten, sondern daher, daß sie von Florenz stets als Brüder,
die andern aber als Feinde behandelt wurden. So begab sich Pistoja
freiwillig unter die Herrschaft von Florenz, die andern aber wehrten und
wehrten sich mit allen Kräften dagegen. Zweifellos wäre Florenz heute
Herrin von Toskana, hätte es seine Nachbarn durch Bündnisse und
Hilfeleistungen zahm, aber nicht widerspenstig gemacht. Damit soll
nicht gesagt sein, daß man Waffengewalt gar nicht anwenden solle; man
soll sie nur bis zuletzt aufsparen, wenn alle andern Mittel versagen.
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