Page 906 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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vollkommen versicherst, indem du sie völlig unschädlich machst, oder
                ihnen so viel Gutes tust, daß sie keine begründete Ursache haben, ihr Los
                zu ändern. Das alles ersieht man aus dem Vorschlag des Camillus und

                aus dem hierauf gefällten Urteil des Senats. Seine Worte waren folgende:
                Dii immortales ita vos potentes huius consilii fecerunt, ut
                sit Latium deinde an non sit, in vestra manu posuerint.
                Itaque pacem vobis, quod ad Latinos attinet, parare in
                perpetuum vel saeviendo vel ignoscendo potestis. Vultis
                crudeliter consulere in deditos victosque? Licet delere omne
                Latium. Vultis exemplo maiorum augere rem Romanam, victos in
                civitatem accipiendo? Materia crescendi per summam gloriam
                suppeditat. Certe id firmissimum imperium est, quo obedientes
                gaudent. Illorum igitur animos dum expectatione stupent, seu
                poena seu beneficio praeoccupari oportet. (Die unsterblichen
                Götter haben es in eure Hand gelegt, ob Latium künftig sein oder nicht
                sein soll. Ihr könnt euch daher, was die Latiner betrifft, ewigen Frieden
                durch Härte oder durch Verzeihung verschaffen. Wollt ihr grausam gegen

                die verfahren, die besiegt sind und sich ergeben haben? Ihr könnt ganz
                Latium zerstören. Wollt ihr nach dem Beispiel der Vorfahren den
                römischen Staat vergrößern, indem ihr den Besiegten das Bürgerrecht
                verleiht? Die rühmlichste Gelegenheit, euch zu vergrößern, bietet sich
                dar. Gewiß ist die Herrschaft die festeste, unter der sich die Untertanen
                wohl fühlen. Jetzt müßt ihr daher, solange sie noch betäubt in Erwartung
                stehen, ihre Gemüter durch Strafe oder Wohltat gewinnen.) Auf diesen

                Vorschlag erfolgte der Beschluß des Senats. Er fiel nach den Worten des
                Konsuls dahin aus, daß man Stadt für Stadt durchging und allen
                bedeutenden Städten entweder Wohltaten erwies oder sie zerstörte. Den
                zu Gnaden Angenommenen wurden Vorrechte eingeräumt; sie erhielten
                das Bürgerrecht und wurden in jeder Weise sichergestellt. Die andern
                wurden zerstört, Kolonien hingeschickt, die Einwohner nach Rom

                gebracht oder so zerstreut, daß sie weder durch Gewalt noch durch
                Aufreizung mehr schaden konnten. Bei den bedeutenden Städten also
                schlug man, wie gesagt, nie einen Mittelweg ein.
                     Dies Urteil müssen die Fürsten nachahmen, und so hätten auch die
                Florentiner verfahren sollen, als sich 1502 Arezzo und das ganze
                Chianatal empörte. s. Lebenslauf, 1502. Dann hätten sie sich ihre
                Herrschaft gesichert, die Hauptstadt bedeutend vergrößert und ihr den

                Landbesitz verschafft, der ihr zum Unterhalt fehlte. Sie aber wählten den
                Mittelweg, der bei Urteilssprüchen der verderblichste ist; sie verbannten
                einen Teil der Aretiner, verurteilten einen andern zum Tode, nahmen
                allen ihre Ämter und Würden und ihren alten Rang in der Stadt und
                ließen Arezzo stehen. Riet ein Bürger in den Beratungen, Arezzo zu





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