Page 907 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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zerstören, so sagten die, welche sich für klüger hielten, das würde der
                Republik wenig Ehre machen, weil es dann schiene, als fehle es Florenz
                an Kraft, Arezzo zu behaupten. Dies ist einer von den Scheingründen,

                die in Wirklichkeit falsch sind; denn ebensogut dürfte man einen
                Vatermörder, Verbrecher und Aufrührer nicht hinrichten, weil es für den
                Fürsten eine Schande wäre, zu zeigen, daß er nicht stark genug sei, einen
                einzigen im Zaume zu halten! Leute, die solche Ansichten haben, sehen
                nicht ein, daß einzelne und eine ganze Stadt sich bisweilen so schwer
                gegen den Staat vergehen, daß dem Fürsten zum warnenden Beispiel und
                zur eigenen Sicherheit nichts übrigbleibt, als sie zu vernichten. Die Ehre

                besteht darin, daß man sie züchtigen kann und sie zu züchtigen versteht,
                nicht darin, daß man sie unter tausend Gefahren straflos läßt. Denn straft
                ein Fürst einen Missetäter nicht so, daß er sich nicht wieder vergehen
                kann, so wird er für unfähig oder für feige gehalten.
                     Wie notwendig jenes Urteil war, das die Römer sprachen, ergibt sich
                auch noch aus dem Spruch, den sie über die Privernaten fällten. Hier ist

                aus der Darstellung des Livius VIII, 21 (329 v. Chr.) zweierlei zu lernen.
                Erstens, daß man, wie gesagt, allen Untertanen entweder wohltun oder
                sie vernichten muß, und zweitens, daß Freimut und Wahrhaftigkeit
                gegenüber klugen Männern viel ausrichten kann. Der römische Senat
                war versammelt, um das Urteil über die Privernaten zu fällen, die sich
                empört hatten und mit Gewalt wieder zum Gehorsam gebracht waren.
                Das Volk von Privernum hatte ein Anzahl von Bürgern geschickt, um

                Verzeihung vom Senat zu erbitten. Als sie vor ihm erschienen, fragte ein
                Senator einen von ihnen: Quam poenam meritos Privernates
                censeret? (Welche Strafe die Privernaten nach seiner Meinung verdient

                hätten?) Der Privernate antwortete: Eam quam merentur, qui se
                libertate dignos censent. (Die, welche Männer verdienen, die sich

                der Freiheit für würdig halten.) Worauf der Konsul erwiderte: Quid si
                poenam remittimus vobis, qualem nos pacem vobiscum habituros
                speremus? (Wenn wir euch die Strafe erlassen, welchen Frieden haben

                wir uns dann von euch zu erhoffen?) Jener erwiderte: Si bonam
                dederitis, et fidelem et perpetuam; si malam, haud diuturnam.
                (Wenn ihr uns einen guten gebt, einen getreuen und beständigen, wenn
                ihr einen schlechten gebt, einen kurzen.) Obgleich viele darüber
                aufgebracht wurden, sprach der weisere Teil des Senats: Se audivisse
                vocem et liberi et viri, nec credi posse ullum populum aut
                hominem denique in ea conditione, cuius eum poeniteat,
                diutius quam necesse sit mansurum. Ibi pacem esse fidam, ubi
                voluntarii pacati sint, neque eo loco, ubi servitutem esse
                velint, fidem sperandam esse. (Sie hätten das Wort eines Freien und





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