Page 910 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Entweder du hast immer ein gutes Heer ins Feld zu stellen, wie die
                Römer, oder du zerstreust und vernichtest das Volk, löst es auf und
                zersplitterst es derart, daß es sich nicht mehr vereinigen kann, um dir zu

                schaden. Denn machst du es arm, spoliatis arma supersunt (so
                bleiben den Beraubten die Waffen), und entwaffnest du es, furor arma
                ministrat (so schafft die Wut Waffen). Tötest du die Häupter und fährst
                fort, die Menge zu bedrücken, so wachsen sie neu wie die Häupter der
                Hydra. Baust du also Festungen, so nützen sie dir im Frieden nur dazu,
                dich zur Bedrückung deiner Untertanen zu ermutigen, und im Krieg sind
                sie ganz unnütz, weil sie, vom Feind und von den Untertanen zugleich

                angegriffen, unmöglich beiden widerstehen können. Waren sie aber je
                unnütz, so sind sie es jetzt wegen des schweren Geschützes, gegen
                dessen Gewalt man kleine Plätze, die keine abschnittsweise Verteidigung
                erlauben, durchaus nicht halten kann, wie oben gezeigt wurde. S. Buch
                II, Kap. 17.
                     Ich will diesen Gegenstand noch ausführlicher erörtern. Entweder der

                Fürst will durch Festungen das Volk in der Stadt im Zaume halten, oder
                der Fürst oder Freistaat will eine im Kriege eroberte Stadt zügeln. Ich
                wende mich zum Fürsten und sage: Um dein Volk im Zaume zu halten,
                kann es aus den obigen Gründen nichts Unnützeres geben als eine solche
                Festung. Denn sie macht dich geneigter und unbedenklicher, das Volk zu
                unterdrücken, und diese Unterdrückung macht es so entschlossen zu
                deinem Untergang und entflammt es zu solcher Wut, daß die Festung,

                die Ursache dieses Hasses, dich nicht mehr schützen kann. Ein weiser
                und guter Fürst wird daher, sowohl um selbst gut zu bleiben, wie um
                seinen Söhnen keinen Anlaß zu geben, böse zu werden, nie eine Festung
                erbauen, damit sie sich nicht auf die Festung, sondern auf die Liebe ihrer
                Untertanen verlassen. Wenn der Graf Francesco Sforza, der sich zum
                Herzog von Mailand emporschwang, S. Buch 1, Kap. 17. für weise galt

                und doch ein Kastell in Mailand erbaute, so war er in diesem Punkte
                nicht weise, und der Erfolg hat bewiesen, daß dies Kastell seinen Erben
                zum Schaden und nicht zur Sicherheit gereichte. Denn im Besitz des
                Kastells glaubten sie, ihres Lebens sicher zu sein und ihre Bürger und
                Untertanen bedrücken zu können. Es gab keine Gewalttat, die sie nicht
                begingen, und so wurden sie über die Maßen verhaßt und verloren die
                Herrschaft bei jedem feindlichen Angriff. Das Kastell aber schützte sie

                nicht und brachte ihnen im Krieg keinen Nutzen, aber viel Schaden im
                Frieden. Denn ohne das Kastell und ohne ihre unkluge Härte gegen die
                Bürger hätten sie die Gefahr eher gemerkt, hätten einen andern Weg
                eingeschlagen und mit freundlich gesinnten Untertanen ohne Festung





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