Page 914 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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allein in der Lombardei, sondern auch in der Romagna, im Königreich
Neapel und in ganz Italien. Was aber die Anlage von Festungen zum
Schutze gegen äußere Feinde betrifft, so behaupte ich, daß sie für Völker
und Reiche mit guten Heeren nicht nötig und für die andern unnütz sind.
Denn ein gutes Heer kann sich auch ohne Festungen verteidigen,
Festungen aber können sich ohne gute Heere nicht halten. Das zeigt die
Erfahrung bei Völkern, die in Regierungskunst und andern Dingen für
die ersten galten, wie die Römer und Spartaner. Wenn aber die Römer
keine Festungen bauten, so duldeten die Spartaner nicht einmal Mauern
um ihre Stadt, weil sie sie lediglich durch die Tapferkeit der Bürger und
durch nichts andres verteidigen wollten. Als ein Spartaner von einem
Athener gefragt wurde, ob er die Mauern Athens schön fände, sagte er:
Ja, wenn Weiber dahinter wohnten. Hat also ein Fürst, der ein gutes Heer
besitzt, an den Küsten und an den Grenzen ein paar Festungen, die den
Feind ein paar Tage aufhalten können, bis er kriegsbereit ist, so kann das
manchmal nützlich sein, aber notwendig ist es nicht. Hat aber ein Fürst
kein gutes Heer, so sind ihm Festungen im Lande oder an den Grenzen
entweder schädlich oder unnütz; schädlich, weil er sie leicht verliert und
der Feind sie dann benutzt; unnütz, wenn sie so stark sind, daß der Feind
sie nicht nehmen kann, weil er sie dann umgeht. Denn ein gutes Heer
dringt, wenn es nicht den kräftigsten Widerstand findet, in Feindesland
ein, ohne auf Städte oder Festungen zu achten, die es in seinem Rücken
läßt. Das findet man in der alten Geschichte und auch in der neusten
Zeit, wo Francesco Maria beim Angriff auf Urbino zehn feindliche
Städte unbekümmert in seinem Rücken ließ.
Der Fürst also, der ein gutes Heer aufstellen kann, braucht keine
Festungen zu bauen, und der kein gutes Heer hat, darf keine bauen. Er
soll seine Hauptstadt zwar befestigen, sie mit Kriegsvorrat versehen und
sich die Liebe der Bürger erwerben, um einen feindlichen Angriff so
lange aushalten zu können, bis ein Vertrag oder auswärtige Hilfe ihn frei
macht. Alle übrigen Festungsbauten aber sind im Frieden kostspielig und
im Kriege zwecklos. Erwägt man alles Gesagte, so wird man einsehen,
daß die Römer, wie in allem, was sie taten, auch in ihrem Urteil über die
Latiner und Privernaten weise waren, da sie nicht an Festungen dachten,
sondern sich dieser Völker durch wirksamere und klügere Mittel
versicherten.
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