Page 909 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierundzwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                         Festungen schaden im allgemeinen mehr als sie nützen.


                Es wird, den Weisen unsrer Zeit vielleicht unüberlegt erscheinen, daß die
                Römer sich der Völker Latiums und der Stadt Privernum nicht dadurch
                zu versichern suchten, daß sie dort Festungen anlegten, um sie im Zaume
                zu halten. Zumal in Florenz gibt es ein Sprichwort, das unsre Weisen im
                Munde führen, Pisa und andre Städte müßten durch Festungen behauptet

                werden. Gemeint sind die damals häufigen Zwingburgen, Kastelle oder
                Zitadellen in den Städten. Gewiß, wären die Römer Leute wie sie
                gewesen, so wären sie auf die Anlage von Festungen bedacht gewesen;
                da sie aber andre Tapferkeit, andre Einsicht und Macht besaßen, taten sie
                es nicht. Solange Rom frei war und seinen vortrefflichen Einrichtungen

                und Bräuchen treu blieb, erbaute es nie Festungen zur Behauptung von
                Städten und Ländern, ließ aber einige der schon erbauten stehen.
                Vergleicht man nun das Verfahren der Römer mit dem der heutigen
                Fürsten, so scheint es mir der Erörterung wert, ob es gut ist, Festungen
                anzulegen, und ob sie dem Erbauer Schaden oder Nutzen bringen.
                     Festungen werden erbaut, um sich vor den Feinden oder vor den
                Untertanen zu sichern. Im ersten Fall sind sie nicht nötig, im zweiten

                schädlich. Zunächst will ich die Gründe dafür angeben, warum sie im
                zweiten Fall schädlich sind.
                     Fürchtet sich ein Fürst oder eine Republik vor den Untertanen und
                vor Empörung, so entsteht diese Furcht aus dem Haß der Untertanen
                gegen den Fürsten, der Haß aus ihrer schlechten Behandlung und diese
                aus dem Glauben des Herrschers, sie mit Gewalt im Zaum halten zu

                können, oder aus seiner Unklugheit. Eins von den Mitteln, wodurch man
                sie mit Gewalt im Zaum zu halten glaubt, ist, daß man ihnen Festungen
                auf den Nacken setzt. Die üble Behandlung, die den Haß erzeugt,
                entsteht also gutenteils daraus, daß der Fürst oder die Republik
                Festungen besitzt. Trifft dies zu, so erhellt daraus, daß die Festungen
                weit mehr schaden als nützen. Denn erstens machen sie dich verwegner
                und gewalttätiger gegen die Untertanen, und zweitens bieten sie dir nicht

                die Sicherheit, die du dir einbildest. Denn alle Gewalt und aller Zwang,
                um ein Volk im Zaum zu halten, ist unnütz, außer in zwei Fällen.





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