Page 908 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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eines Mannes gehört, denn man könne nicht glauben, daß ein Volk oder
                auch nur ein Mensch in einer Lage, die ihm zuwider sei, länger verharren
                werde, als er müsse. Der Friede sei da zuverlässig, wo die Leute sich

                freiwillig beruhigt hätten; da aber, wo man Knechtschaft wolle, wäre
                keine Treue zu hoffen.) Auf diese Worte hin wurde beschlossen, die
                Privernaten zu römischen Bürgern zu machen und sie mit den Vorrechten
                der Bürger auszustatten, denn eos demum, qui nihil praeterquam de
                libertate cogitant, dignos esse, qui Romani fiant. (Nur solche,
                die auf nichts als auf Freiheit sännen, verdienten römische Bürger zu
                werden.) So sehr gefiel dem hohen Sinn der Römer jene wahre und

                freimütige Antwort, denn jede andre wäre Lüge und Feigheit gewesen.
                Wer anders über die Menschen urteilt, zumal über die, welche immer frei
                waren oder sich dafür hielten, irrt sich und faßt in diesem Irrtum
                Entschlüsse, die weder gut für ihn selbst sind noch andre befriedigen
                können. Daher kommen die häufigen Empörungen und der Untergang
                der Staaten.

                     Um aber wieder zu unserm Gegenstand zurückzukehren, ziehe ich
                sowohl aus dem letzten Beispiel wie aus dem Urteil über die Latiner
                diesen Schluß: Wenn man über mächtige und an Freiheit gewöhnte
                Staaten ein Urteil zu fällen hat, muß man sie entweder vernichten oder
                ihnen wohltun, sonst ist jeder Urteilsspruch eitel. Man muß durchaus den
                Mittelweg meiden, da er verderblich ist. Das erfuhren die Samniter, als
                sie die Römer in dem caudinischen Engpaß eingeschlossen hatten und

                den Rat jenes Greises nicht befolgen wollten, die Römer entweder mit
                Ehren abziehen zu lassen oder alle niederzuhauen. Statt dessen schlugen
                sie einen Mittelweg ein, indem sie das römische Heer entwaffneten, es
                durchs Joch gehen ließen und es voller Schmach und Ingrimm
                heimschickten. Bald aber erkannten sie zu ihrem Schaden, wie nützlich
                der Rat des Greises und wie verderblich ihr Beschluß gewesen war, wie

                an Ort und Stelle ausführlich erörtert werden soll. S. Buch III, Kap. 40.


























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