Page 913 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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durch den Verrat der Besatzung oder aus Furcht vor größerem Unheil
                ergaben. Wären sie nicht dagewesen, so hätte Florenz sein Vertrauen,
                Pisa zu halten, nicht auf sie begründet, und der König hätte Florenz nicht

                durch die Festungen um den Besitz von Pisa bringen können. Vielleicht
                hätten die Mittel, wodurch man Pisa bis dahin gehalten hatte, auch jetzt
                zu seiner Verteidigung hingereicht, jedenfalls aber hätten sie die Probe
                nicht schlechter bestanden als die Festungen.
                     Ich ziehe also den Schluß, daß Festungen zur Sicherung der eignen
                Stadt schädlich und zur Behauptung eroberter Städte unnütz sind. Dafür
                soll mir die Autorität der Römer genügen. In den Städten, die sie mit

                Gewalt halten wollten, rissen sie die Mauern nieder, statt neue zu bauen.
                Man wird mir gegen diese Ansicht aus dem Altertum wohl Tarent und
                aus der neueren Zeit Brescia anführen, Städte, die nach ihrer Empörung
                mit Hilfe der Festungen wieder erobert wurden. Darauf entgegne ich, daß
                zur Wiedereroberung Tarents zu Anfang eines Jahres Fabius Maximus
                mit dem ganzen Heere entsandt wurde, 209 v. Chr. Vgl. Livius XXVII,

                15. und er hätte die Stadt wohl auch erobert, wenn keine Festung darin
                im Besitz der Römer gewesen wäre. Wenn Fabius sich dieses Mittels
                bediente, so hätte er auch, wenn keine Festung dagewesen wäre, ein
                andres benutzt, das zum gleichen Ziel geführt hätte. Ich weiß nicht,
                welchen Nutzen eine Festung haben soll, wenn man zur
                Wiedereroberung einer Stadt ein konsularisches Heer und einen Fabius
                Maximus als Feldherrn nötig hat. Daß aber die Römer Tarent auf jeden

                Fall wiedergewonnen hätten, zeigte das Beispiel von Capua, das keine
                Festung hatte und das durch die Tapferkeit des Heeres zurückerobert
                wurde. Capua war nach der Schlacht bei Cannae an Hannibal
                verlorengegangen; es ergab sich den Römern 211 nach vierjähriger
                Belagerung.
                     Kommen wir jedoch zu Brescia. S. Buch III, Kap. 19. Selten wird es

                so kommen, wie bei der Empörung dieser Stadt, daß die Zitadelle in
                deiner Gewalt bleibt, während die Stadt sich empört hat, und daß ein so
                starkes Heer in der Nähe steht wie das französische. Denn der Feldherr
                des Königs, Gaston de Foix, stand mit dem Heer bei Bologna, brach auf
                die Nachricht vom Abfall Brescias sofort auf, kam nach drei Tagen an
                und gewann mit Hilfe der Zitadelle die Stadt zurück. Um etwas zu
                nützen, bedurfte die Zitadelle von Brescia also eines Gaston de Foix und

                eines französischen Heeres, das ihr in drei Tagen zu Hilfe kam. Diese
                zwei Beispiele reichen daher gegen die gegenteiligen Beispiele nicht aus.
                Denn viele Festungen sind in den Kriegen unsrer Zeit durch dieselben
                Glücksfälle erobert und zurückerobert worden wie das flache Land, nicht





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