Page 915 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Fünfundzwanzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Eine uneinige Stadt anzugreifen, um sie durch ihre Uneinigkeit zu
erobern, ist ein verkehrtes Unternehmen.
In der römischen Republik herrschte so großer Zwiespalt zwischen Volk
und Adel, daß die Vejenter im Verein mit den Etruskern glaubten, Rom
mit Hilfe dieser Uneinigkeit vernichten zu können. Der Streit wegen des
Ackergesetzes. Vgl. Livius II, 44 ff. (480 v. Chr.). Sie brachten also ein
Heer auf und verwüsteten die Umgegend Roms. Der Senat schickte
ihnen den Gnejus Manlius und Marcus Fabius entgegen, die ihnen dicht
auf den Leib rückten. Die Vejenter reizten den Feind durch Überfälle und
schmähten und beschimpften die Römer fortwährend. Ihre Frechheit und
ihr Übermut ging so weit, daß die Römer ihren Hader fahrenließen, sie
angriffen und schlugen.
Man ersieht daraus, wie schon oben gesagt, wie sehr sich die
Menschen bei ihren Maßregeln täuschen, und wie oft sie etwas zu
gewinnen glauben und es verlieren. Die Vejenter glaubten zu siegen,
wenn sie die entzweiten Römer angriffen, und gerade dieser Angriff
einigte die Römer und brachte ihnen selbst Verderben. Die Ursache der
Zwietracht in Republiken ist meist Müßiggang und Friede, die Ursache
der Einigkeit Furcht und Krieg. Wären die Vejenter also weise gewesen,
sie hätten sich um so mehr vor Krieg gehütet, je uneiniger sie Rom
sahen, und es durch friedliche Kunstgriffe zu unterdrücken gesucht.
Der Weg hierzu ist folgender. Man sucht das Vertrauen der uneinigen
Stadt zu gewinnen und, solange sie nicht zu den Waffen greift, sich als
Schiedsrichter zwischen beiden Parteien zu halten. Greift sie zu den
Waffen, so muß man der schwächeren Partei langsam Hilfe leisten, nicht
nur, um den Krieg in die Länge zu ziehen und sie sich gegenseitig
aufreiben zu lassen, sondern auch, damit ein Aufgebot bedeutender
Kräfte nicht beide Teile auf den Verdacht bringt, daß man sie
unterdrücken und ihr Herrscher werden will. Wird das richtig ausgeführt,
so wird man fast stets sein Ziel erreichen.
Wie ich an andrer Stelle und bei einem andern Anlaß sagte, kam
Pistoja nur durch diesen Kunstgriff an die Republik Florenz. 5. Buch II,
Kap. 21, und III, 27. Da die Stadt entzweit war, begünstigte Florenz bald
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