Page 917 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Sechsundzwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                  Schmähung und Beschimpfung erzeugen Haß gegen ihren Urheber
                                           und nützen ihm gar nichts.


                Ich halte es für ein großes Zeichen von Klugheit, wenn man sich der
                Drohungen und Beleidigungen durch Worte enthält, denn beides nimmt
                dem Feind nichts von seiner Kraft, aber Drohungen machen ihn
                vorsichtiger, und Beleidigungen steigern seinen Haß und spornen ihn an,

                auf dein Verderben zu sinnen. Das sieht man an dem Beispiel der
                Vejenter im letzten Kapitel, die zur Unbill des Krieges gegen die Römer
                noch Schimpfworte hinzufügten. Dergleichen muß jeder verständige
                Feldherr seinen Soldaten untersagen, weil es den Feind nur zur Rache
                entflammt und seine Kräfte in keiner Weise schmälert; vielmehr sind es

                nur Waffen, die sich gegen dich selbst kehren.
                     Ein bemerkenswertes Beispiel dafür trug sich einst in Asien zu. Der
                persische Feldherr Cabades hatte längere Zeit Amida belagert, 502 v.
                Chr. und da er der langwierigen Belagerung satt war, beschloß er
                abzuziehen. Er brach schon sein Lager ab, als die Einwohner der Stadt,
                übermütig ob des Sieges, auf die Mauern kamen, die Belagerer in jeder
                Weise verhöhnten und schmähten und ihnen Feigheit und Niedertracht

                vorwarfen. Darüber aufgebracht, änderte Cabades seinen Beschluß und
                begann die Belagerung von neuem. Und so groß war der Unwille über
                die Kränkung, daß er die Stadt in wenigen Tagen einnahm und zerstörte.
                Das gleiche Schicksal traf die Vejenter, die, nicht zufrieden damit, die
                Römer zu bekriegen, sie auch noch mit Worten verhöhnten und bis an die
                Verschanzungen des Lagers vorgingen, um ihnen Schimpfworte

                zuzurufen, so daß sie die Feinde weit mehr mit Worten als mit Waffen
                gegen sich aufbrachten. Dieselben Soldaten, die bisher mit Widerstreben
                fochten, zwangen jetzt die Konsuln zur Schlacht. So wurden die Vejenter
                wie die Amider für ihre Frechheit bestraft. Gute Feldherren und gute
                Leiter von Republiken müssen daher auf jede mögliche Weise dahin
                wirken, daß solche Beleidigungen und Beschimpfungen weder in der
                Stadt noch beim Heere, weder untereinander noch gegen den Feind

                vorkommen. Denn gegen den Feind haben sie die genannte üble







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