Page 922 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Achtundzwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                  Wie gefährlich es für eine Republik oder für einen Fürsten ist, eine
                    dem Staat oder einem einzelnen zugefügte Beleidigung nicht zu
                                                        strafen.


                Wozu der Unwille die Menschen bringen kann, sieht man deutlich aus
                dem, was den Römern widerfuhr, als sie die drei Fabier als Gesandte zu
                den Galliern schickten, die Etrurien und besonders Clusium angegriffen

                hatten. 391 v. Chr. Als sich nämlich das Volk von Clusium um Hilfe nach
                Rom gewandt hatte, schickten die Römer Gesandte zu den Galliern, die
                ihnen im Namen des römischen Volkes bedeuten sollten, den Krieg
                gegen die Etrusker aufzugeben. Aber die Gesandten waren mehr Männer
                der Tat als des Wortes. Als sie dort angelangt waren und es zwischen den

                Galliern und Etruskern zum Kampfe kam, fochten sie in den vordersten
                Reihen der Etrusker mit. Die Folge war, daß die Gallier sie erkannten
                und nun allen Unwillen, den sie gegen die Etrusker hegten, gegen die
                Römer kehrten. Vergrößert wurde dieser Unwille noch, als sich die
                Gallier beim römischen Senat über die Kränkung beschwerten und zur
                Sühne für den erlittenen Schaden die Auslieferung der drei Fabier
                verlangten. Sie wurden nämlich weder ausgeliefert, noch anderweitig

                bestraft; sondern vielmehr bei den nächsten Comitien zu Tribunen mit
                konsularischer Gewalt ernannt. Als die Gallier die Leute geehrt sahen,
                die Strafe verdient hatten, glaubten sie, daß dies bloß zu ihrer Schande
                und Kränkung geschehe, rückten, von Zorn und Grimm entbrannt, gegen
                Rom und eroberten es bis auf das Kapitol. Dies Unglück kam über Rom
                nur durch die Mißachtung der Gerechtigkeit, da es seine Gesandten, die

                sich contra ius gentium Livius V, 36. (gegen das Völkerrecht)
                vergangen hatten, auszeichnete, statt sie zu strafen. Man ersieht daraus,
                wie sehr jede Republik und jeder Fürst sich hüten muß, nicht nur ein
                ganzes Volk, sondern auch einen einzelnen nicht derart zu beleidigen.
                Denn ist jemand vom Staate oder von einem Privatmann schwer
                beleidigt worden, und erhält er keine ausreichende Genugtuung, so
                trachtet er, wenn er in einer Republik lebt, nach Rache, selbst wenn die

                Republik darüber zugrunde geht; lebt er aber in einer Monarchie und
                besitzt er einiges Ehrgefühl, so wird er nicht eher ruhen, bis er sich an





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