Page 927 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Dreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                   Wahrhaft mächtige Republiken und Fürsten erkaufen Bündnisse
                        nicht mit Geld, sondern mit Tapferkeit und Waffenruhm.


                Die Römer wurden im Kapitol belagert, und obwohl sie Hilfe von Veji
                durch Camillus erwarteten, gingen sie, vom Hunger getrieben, einen
                Vergleich mit den Galliern ein. Sie wollten sich durch eine Geldsumme
                loskaufen und wogen das Gold schon ab, als Camillus mit seinem Heere

                erschien. So fügte es das Geschick, sagt Livius, V, 49. ut Romani auro
                redempti non viverent (damit die Römer ihr Leben nicht mit Gold
                erkauften). Das ist nicht nur hier bemerkenswert, sondern im Verlauf der
                ganzen römischen Geschichte. Nie eroberten sie Städte durch Geld,
                niemals erkauften sie Frieden durch Geld, sondern stets durch die

                Tapferkeit ihrer Heere, was wohl nie einer andern Republik gelungen ist.
                     Die Macht eines Staates läßt sich unter anderm auch daraus
                erkennen, wie er mit seinen Nachbarn steht. Bezahlen ihm die Nachbarn
                Subsidien, um ihn zum Freunde zu haben, so ist das ein sichres Zeichen
                seiner Macht. Beziehen dagegen die Nachbarn Geld von ihm, obgleich
                sie kleiner sind als er, so ist das ein deutliches Merkmal seiner
                Schwäche. Man lese die ganze römische Geschichte, und man wird

                sehen, daß die Massilier, die Äduer, die Rhodier, Hiero von Syrakus, die
                Könige Eumenes und Masinissa, Rhodos hatte gegen Mazedonien zu
                Rom gehalten, wurde jedoch nach dessen Niederwerfung von Rom
                gedemütigt. – Hiero II. von Syrakus (König 269-216), seit 263
                Bundesgenosse der Römer, hielt diesen im ersten und zweiten punischen
                Kriege die Treue. lauter Grenznachbarn des römischen Reiches, um mit

                ihm in Freundschaft zu stehen, zu seinen Bedürfnissen Geld und Tribut
                beitrugen und dafür keinen andern Lohn verlangten als seinen Schutz.
                     Das Gegenteil wird man bei schwachen Staaten finden. Um mit
                Florenz zu beginnen, gab es früher, zur Zeit seines höchsten Ansehens,
                kein Herrchen in der Romagna, das kein Gehalt von ihm bezog;
                außerdem zahlte es Jahresgelder an Perugia, Città di Castello und an alle
                seine andern Nachbarn. Wäre der Staat bewaffnet und kräftig gewesen,

                so wäre es umgekehrt gekommen; denn um seinen Schutz zu genießen,
                hätten alle ihm Geld gegeben, nicht um ihre Freundschaft zu verkaufen,





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