Page 932 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zweiunddreißigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Auf wieviel Arten die Römer Städte eroberten.
Alles Sinnen und Trachten der Römer ging auf den Krieg. Sie führten ihn
daher stets mit allem möglichen Vorteil, sowohl in Hinsicht auf die
Kosten, wie auf alles andre zum Krieg Erforderliche. Daher hüteten sie
sich wohl, Städte durch Belagerung einzunehmen. Sie hielten das für so
kostspielig und umständlich, daß die Nachteile den Nutzen der
Eroberung bei weitem überwögen, und es schien ihnen darum besser und
nützlicher, die Städte auf jede andre Weise einzunehmen. Man findet
daher auch in so vielen Kriegen und in einer so langen Zeit nur ganz
wenige Beispiele von Städtebelagerungen. Sie eroberten die Städte durch
offene Gewalt oder durch die Gewalt in Verbindung mit List oder durch
Übergabe.
Die offne Gewalt bestand erstens im Sturm, ohne die Mauern zu
durchbrechen, was sie aggredi urbem Corona nannten, weil sie die
Stadt mit ihrem ganzen Heer einschlossen und sie von allen Seiten
berannten. Oft gelang ihnen die Eroberung ganz bedeutender Städte in
einem Anlauf. So eroberte Scipio Neukarthago in Spanien. 209 v. Chr.
Gelang dieser Anlauf nicht, so rannten sie die Mauern mit Widdern und
anderen Kriegsmaschinen ein. Oder sie gruben einen unterirdischen
Gang und drangen durch ihn in die Stadt. So wurde Veji erobert. 396 v.
Chr. Oder sie bauten hölzerne Türme, um mit den Verteidigern der
Mauer auf gleicher Höhe zu stehen. Oder sie suchten durch einen
Erdaufwurf an der Außenseite der Mauer in die gleiche Höhe zu
kommen.
Im ersten Fall, wenn die Stadt ringsum angegriffen wurde, war die
Verteidigung äußerst gefährlich und die Gegenwehr zweifelhaft. Da an
jedem Punkt eine hinreichende Zahl von Verteidigern sein mußte, so
reichten die Vorhandenen entweder nicht aus, um überall stark genug zu
sein und sich ablösen zu können, oder wenn dies auch möglich war, so
leisteten doch nicht alle gleich tapfern Widerstand, und wurde nur ein
Teil überwältigt, so war alles verloren. Diese Angriffsart hatte daher oft
glücklichen Erfolg. Gelang sie aber beim ersten Male nicht, so wurde der
Versuch nicht leicht erneuert, weil er für das Heer gefährlich war; denn
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