Page 933 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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so weit auseinandergezogen, verlor es die nötige Kraft, um einem
                Ausfall der Besatzung zu widerstehen. Auch kamen die Soldaten
                dadurch in Unordnung und wurden erschöpft; einmal aber und

                unversehens wurde diese Art versucht.
                     Gegen die Durchbrechung der Mauern schützte man sich wie jetzt
                durch Wälle. Gegen die unterirdischen Gänge grub man einen
                Gegengang und trat darin dem Feind entweder mit den Waffen oder mit
                anderen Mitteln entgegen. So warf man mit Federn gefüllte Tonnen
                brennend in den Gang, deren Rauch und Gestank das Eindringen des
                Feindes verhinderte. Wurde mit Türmen angegriffen, so suchte man sie

                in Brand zu stecken. Gegen die Erdaufwürfe wurde unten an der Mauer,
                wo der Damm angeschüttet war, eine Öffnung gemacht und die Erde in
                die Stadt gezogen, so daß die Aufschüttung durch die Wegnahme von
                innen nicht wuchs.
                     Diese Arten der Eroberung ließen sich aber nicht lange fortsetzen,
                sondern man mußte entweder abziehen und den Krieg auf andre Weise

                zu gewinnen suchen, wie Scipio, der nach seiner Landung in Afrika
                Utica angriff, 204 v. Chr. es aber nicht nehmen konnte und daher die
                Belagerung aufhob und die karthagischen Heere zu schlagen suchte.
                Oder man mußte sich auf eine förmliche Belagerung einlassen, wie bei
                Veji, Capua, Karthago, Jerusalem und anderen Städten, die auf diese
                Weise erobert wurden.
                     Was die Eroberung der Städte durch Gewalt in Verbindung mit List

                betrifft, so haben wir ein Beispiel an Paläopolis, das die Römer im
                Einverständnis mit den Einwohnern eroberten. 326 v. Chr. Vgl. Livius
                VIII, 25 f. Eroberungen dieser Art sind von den Römern und andern
                vielfach versucht worden, aber selten gelungen. Der Grund ist, daß das
                geringste Hindernis den Plan zerstört, und solche Hindernisse treten sehr
                leicht ein. Entweder wird der Verrat entdeckt, bevor er zur Ausführung

                kommt, und das geschieht ziemlich leicht, entweder durch die Untreue
                der Mitwisser oder durch die Schwierigkeit der Verabredung, denn man
                muß mit Feinden übereinkommen und kann nur unter einem Vorwand
                mit ihnen sprechen. Oder wenn auch der Verrat während der
                Vorbereitung nicht entdeckt wird, so erheben sich bei der Ausführung
                tausend Schwierigkeiten. Denn kommt man vor oder nach der
                festgesetzten Zeit, so ist alles verdorben. Ein unerwartetes Geräusch, wie

                das Schnattern der Gänse vom Kapitol, Bei der Belagerung durch die
                Gallier. eine Abänderung des vereinbarten Planes, der kleinste Fehler,
                das geringste Versehen bringt das Unternehmen zum Scheitern. Dazu
                kommt die Finsternis der Nacht, die die Teilnehmer dieses gefährlichen





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