Page 935 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 935

Dreiunddreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                             Die Römer ließen ihren Heerführern freie Hand.


                Wenn man die Geschichte des Livius mit Vorteil lesen will, muß man das
                Verfahren des römischen Volkes und Senats in allen Stücken in Betracht
                ziehen. Beachtenswert ist unter anderem auch, mit welcher Gewalt die
                Römer ihre Konsuln, Diktatoren und andern Befehlshaber ausstatteten.
                Diese Gewalt war sehr groß, und der Senat behielt sich nichts weiter vor

                als das Recht, neue Kriege zu erklären und die Friedensschlüsse zu
                bestätigen. Alles übrige war dem Gutdünken und der Macht der Konsuln
                anheimgestellt. Hatten Volk und Senat einen Krieg beschlossen, z. B.
                gegen die Latiner, so überließen sie alles übrige dem Konsul. Er konnte
                eine Schlacht liefern oder nicht, diese oder jene Stadt belagern, wie es

                ihm gut schien. Das wird durch viele Beispiele bestätigt, besonders durch
                einen Vorfall im Kriege gegen die Etrusker.
                     Als der Konsul Quintus Fabius die Etrusker bei Sutri geschlagen
                hatte und durch den ciminischen Wald nach Etrurien eindringen wollte,
                310 v. Chr. Vgl. Livius IX, 36. befragte er nicht etwa den Senat, sondern
                er gab ihm nicht mal Nachricht davon, obwohl der Krieg nun in einem
                neuen Lande unsicher und gefährlich war. Das wird auch durch einen

                entgegengesetzten Senatsbeschluß bestätigt. Als nämlich der Senat von
                dem Sieg des Fabius erfuhr, besorgte er, dieser möchte durch den
                ciminischen Wald nach Etrurien eindringen. Da er aber diesen
                gefährlichen Zug nicht für ratsam hielt, schickte er zwei Gesandte an
                Fabius, um ihm den Einfall nach Etrurien zu verbieten. Die Gesandten
                langten erst an, als Fabius schon eingedrungen war und eine zweite

                Schlacht geschlagen hatte, und so kamen sie zu spät, um den Krieg zu
                verhindern, und kehrten als Siegesboten nach Rom zurück.
                     Wer dies Verfahren wohl erwägt, wird es sehr klug finden. Denn
                hätte der Senat den Konsul genötigt, Schritt für Schritt nach seinen
                Aufträgen zu verfahren, so hätte er den Krieg weniger umsichtig und
                träger geführt, denn er hätte geglaubt, daß er den Ruhm des Sieges mit
                dem Senat, nach dessen Rat er handelte, zu teilen hätte. Außerdem hätte

                sich der Senat bemüßigt gefühlt, in einer Sache raten zu wollen, die er
                nicht verstehen konnte. Saßen im Senat auch lauter kriegserfahrene





                                                          934
   930   931   932   933   934   935   936   937   938   939   940