Page 939 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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der Tribunen mit konsularischer Gewalt gar keine religiösen Bräuche
beobachteten. Ebenso straften sie die drei Fabier, die wider das
Völkerrecht gegen die Gallier gekämpft hatten, nicht nur nicht, sondern
ernannten sie zu Tribunen. Daraus läßt sich leicht schließen, daß man
auch die andern heilsamen Verordnungen, die von Romulus und den
übrigen weisen Fürsten getroffen waren, weniger zu achten begann, als
vernünftig und zur Erhaltung der Freiheit nötig war. Da kam jener Schlag
von außen, damit alle Einrichtungen der Stadt wiederhergestellt und dem
Volke gezeigt wurde, daß es nicht nur nötig sei, Religion und
Gerechtigkeit zu erhalten, sondern auch die guten Bürger zu schätzen
und ihre Tugenden höher anzuschlagen als die Vorteile, die ihm ohne
deren Taten wohl nicht zugefallen wären. Alles dies kam genau so, denn
sofort nach der Rückeroberung Roms stellte man alle alten
Religionsgebräuche wieder her, strafte die Fabier, die gegen das
Völkerrecht gekämpft hatten, und schätzte die Tapferkeit und Tugend des
Camillus so hoch, daß der Senat und alle andern jede Eifersucht
vergaßen und ihm die ganze Regierung übertrugen.
Es ist also nötig, daß die Menschen, die in irgendeiner
Gesellschaftsordnung leben, häufig durch solche äußern oder innern
Ereignisse zu sich kommen. Letzteres muß entweder durch ein Gesetz
geschehen, das häufig mit den Gliedern dieser Gesellschaft Abrechnung
hält, oder durch einen rechtschaffnen Mann, der aus ihrer Mitte aufsteht
und durch sein Beispiel und seine tugendhaften Handlungen die gleiche
Wirkung hervorbringt. Dies Heil entspringt den Republiken also
entweder aus der Tugend eines Mannes oder der Kraft einer Einrichtung.
Was das letzte betrifft, so waren die Einrichtungen, die die römische
Republik auf ihren Ursprung zurückführten, die Volkstribunen, die
Zensoren und alle Gesetze, die gegen den Ehrgeiz und Übermut der
Bürger erlassen wurden. Diese Gesetze aber müssen belebt werden durch
die Tugend eines Mannes, der den Mut hat, sie gegen die Macht ihrer
Übertreter zur Geltung zu bringen. Beispiele dieser Art sind vor der
Einnahme Roms durch die Gallier: die Hinrichtung der Söhne des
Brutus, der Dezemvirn, des Getreidehändlers Maelius; S. Buch III, Kap.
8 und 28 nach der Eroberung Roms die des Manlius Capitolinus, Vgl.
Buch I, Kap. 8. der Tod des Sohnes des Manlius Torquatus, S. Buch II,
Kap. 16. das Urteil des Papirius Cursor gegen seinen Reiterobersten
Fabius, S. Buch I, Kap. 31. die Anklage der Scipionen. Die
außerordentliche Merkwürdigkeit dieser Vorfälle brachte die Bürger
wieder zur Besinnung. Als sie aber seltener wurden, bekamen die
Menschen mehr Zeit, verderbt zu werden, und die Vollstreckungen selbst
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