Page 940 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 940
waren dann mit größerer Gefahr und mit mehr Unruhen verbunden.
Zwischen zwei solchen Exempeln sollten nicht mehr als zehn Jahre
liegen, denn nach dieser Zeit fangen die Menschen an, ihre Sitten zu
ändern und die Gesetze zu übertreten. Geschieht dann nicht etwas, was
ihnen die Strafe ins Gedächtnis ruft und ihnen neue Furcht einflößt, so
häuft sich die Zahl der Verbrechen bald so, daß sie nicht mehr ohne
Gefahr bestraft werden können.
In diesem Sinne sagten die Männer, die Florenz von 1434 bis 1494
regierten, Die Medici. es sei nötig, die Regierung alle fünf Jahre wieder
zu ergreifen, sonst sei sie schwer zu behaupten. Die Regierung wieder
ergreifen, darunter verstanden sie, den Bürgern wieder die Furcht und
den Schrecken einzujagen, die sie ihnen bei der ersten Übernahme
eingejagt hatten, als sie alle züchtigten, die sich nach der damaligen
Verfassung schlecht aufgeführt hatten. Sobald aber das Andenken
solcher Bestrafungen erlischt, erdreisten sich die Menschen, Neuerungen
zu versuchen und schlimme Reden zu führen; darum ist es nötig, dem
Übel vorzubeugen, indem man alles zu seinem Ursprung zurückführt.
Diese Wiedergeburt der Republiken geschieht aber auch durch die
bloße Tugend eines Mannes, ohne den Antrieb eines Gesetzes zu solchen
Verurteilungen. Solche Tugenden stehen in so hohem Ansehen und ihr
Vorbild wirkt so mächtig, daß die Guten ihnen nachstreben und die
Bösen sich ihres gegenteiligen Wandels schämen. In Rom brachten
besonders diese gute Wirkung hervor: Horatius Codes, Mucius Scaevola,
Fabricius, die beiden Decius, Attilius Regulus und einige andere, die alle
durch ihr seltenes, tugendhaftes Beispiel fast ebensoviel Gutes stifteten
wie Gesetze und Einrichtungen. Wären die obengenannten
Verurteilungen Hand in Hand mit diesen besondern Beispielen
wenigstens alle zehn Jahre erfolgt, so hätte Rom nie verderbt werden
können. Als aber beides seltner wurde, nahm auch die Sittenverderbnis
zu, denn nach Marcus Regulus sah man kein ähnliches Beispiel mehr,
und wenn auch die beiden Catos in Rom aufstanden, so lebten sie doch
so lange nach Regulus, und auch zeitlich so getrennt voneinander, auch
blieben sie so sehr die einzigen in ihrer Art, daß ihr gutes Vorbild nichts
fruchtete. Besonders vermochte der jüngere Cato, der die Stadt schon
größtenteils verderbt fand, durch sein Beispiel nichts mehr zu bessern.
Soviel von den Republiken.
Was aber die Religionen betrifft, so ersieht man die Notwendigkeit
ihrer Erneuerung an der unsern. Diese Betrachtung wurde am Vorabend
der Reformationsbewegung geschrieben. Hätte sie nicht der heilige
Franziskus und der heilige Dominikus zu ihrem Ursprung zurückgeführt,
939