Page 929 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Was diese Verkehrtheit Florenz geschadet hat, sah und sieht man
                jeden Tag. Sobald ein Heer über seine Grenzen kommt und sich dem
                Herzen nähert, findet es keinen Widerstand mehr. Vor wenigen Jahren

                machte Venedig die gleiche Erfahrung, S. Lebenslauf, 1509. und läge die
                Stadt nicht mitten im Wasser, so hätte man ihr Ende gesehen. Nicht so
                häufig sah man dies in Frankreich, weil es ein sehr großes Reich ist, das
                wenige überlegene Feinde hat. Trotzdem zitterte das ganze Land, als es
                1513 von England angegriffen wurde, und der König selbst wie jeder
                andre urteilte, daß eine einzige Niederlage ihm die Krone kosten könnte.
                S. Lebenslauf, 1513. Das Gegenteil war bei den Römern der Fall, denn je

                mehr sich der Feind Rom näherte, um so stärker wurde sein Widerstand.
                Beim Krieg gegen Hannibal, nach drei Niederlagen, nachdem so viele
                Feldherren und Soldaten gefallen waren, konnte Rom nicht nur dem
                Feinde standhalten, sondern den Krieg noch gewinnen. Das kam bloß
                daher, daß das Herz gewappnet war und daß auf die Gliedmaßen wenig
                Rücksicht genommen wurde. Die Grundlage des Staats war das Volk von

                Rom, die Völker Latiums, die übrigen Bundesgenossen in Italien und die
                Kolonien, die zusammen Soldaten genug lieferten, um die ganze Welt zu
                bekriegen und zu beherrschen. Wie sehr das zutrifft, ersieht man aus der
                Frage, die der Karthager Hanno nach der Schlacht bei Cannae an die
                Gesandten Hannibals richtete. Als diese Hannibals Taten rühmten, fragte
                Hanno, ob vom römischen Volke einer gekommen sei, um Frieden zu
                bitten, oder ob eine Stadt Latiums oder eine Kolonie sich gegen die

                Römer empört hätte. Als sie beides verneinten, entgegnete Hanno: »Der
                Krieg ist noch so wie vorher.«
                     Man sieht also aus dieser Erörterung wie aus dem, was wir sonst
                mehrfach gesagt haben, wie verschieden das Verfahren der heutigen
                Republiken von dem der alten ist. Darum sieht man auch täglich
                wunderbare Verluste und wunderbare Eroberungen. Denn wo die

                Menschen wenig taugen, da zeigt das Glück erst recht seine Macht, und
                da es veränderlich ist, wechseln die Republiken und Staaten oft und
                werden immer wechseln, bis sich jemand erhebt, der das Altertum so
                verehrt, daß er dem Glück Schranken zieht und ihm nicht erlaubt, bei
                jedem Sonnenumlauf zu zeigen, wieviel es vermag.


















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