Page 923 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ihm gerächt hat, sollte er auch sein eignes Verderben besiegeln. Zur
                Bestätigung dafür gibt es kein treffenderes und wahreres Beispiel als das
                des Philipp von Mazedonien, des Vaters Alexanders des Großen. Der

                König hatte an seinem Hof den Pausanias, einen schönen, vornehmen
                Jüngling, in den Attalos, einer der Ersten in Philipps Umgebung, verliebt
                war. Nachdem er ihn mehrmals um Gegenliebe gebeten hatte, ihn aber
                abgeneigt fand, beschloß er, durch List und Gewalt zu erreichen, was er
                auf andre Weise nicht erlangen konnte. Er veranstaltete also ein
                Festmahl, zu dem Pausanias und andre Vornehme erschienen, und als
                alle voll Speisen und Wein waren, ließ er den Pausanias ergreifen, ihn

                beiseite führen und befriedigte da nicht allein mit Gewalt seine Lust an
                ihm, sondern ließ ihn zu größerer Schmach auch noch von vielen andern
                mißbrauchen. Pausanias beschwerte sich bei Philipp mehrfach über diese
                Kränkung, aber der König hielt ihn eine Weile mit der Hoffnung auf
                Vergeltung hin, ohne sein Wort zu halten, vielmehr ernannte er den
                Attalos zum Statthalter einer griechischen Provinz. Als nun Pausanias

                seinen Feind nicht gezüchtigt, sondern geehrt sah, wandte sich sein
                ganzer Grimm nicht gegen den, der ihm den Schimpf angetan, sondern
                gegen Philipp, der ihm die Rache versagt hatte, und ermordete ihn an
                einem feierlichen Morgen, bei der Hochzeit von Philipps Tochter mit
                Alexander von Epirus, als der König zwischen den beiden Alexandern,
                dem Eidam und dem Sohne, zum Tempel schritt. 336 v. Chr. Attalos
                wurde noch im selben Jahre von Alexander beseitigt. Dies Beispiel hat

                große Ähnlichkeit mit dem der Römer. Jeder Regent möge daraus lernen,
                daß er nie einen Menschen so geringschätzen darf, um zu glauben, der
                Beleidigte werde, wenn er Beleidigungen auf Beleidigungen häuft, nicht
                trotz aller Gefahr und trotz seines eignen Schadens auf Rache sinnen.

































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