Page 873 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 873

Dreizehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Aus niederem Stande gelangt man zur Größe eher durch Betrug als
                                                   durch Gewalt.


                Ich halte es für eine ausgemachte Wahrheit, daß Menschen von niederem
                Stand selten oder nie ohne Gewalt oder Betrug zu hohem Range
                gelangen, wofern der Rang ihnen nicht von seinem Inhaber geschenkt
                oder vererbt wird. Ich glaube auch nicht, daß Gewalt allein hinreicht,

                wohl aber Betrug, wie man deutlich aus dem Leben Philipps von
                Mazedonien, Philipp II. Mazedonien (382-336), ein Sohn des Königs
                Amyntas II., bemächtigte sich als Vormund seines Neffen Amyntas III.
                359 des Thrones. des Agathokles von Syrakus S. Buch II, Kap. 12, Anm.
                59. und vieler andrer ersieht, die sich vom niedrigsten oder doch aus

                niederem Stande zu Fürsten oder Beherrschern der größten Reiche
                emporschwangen. In seinem Leben des Kyros zeigt Xenophon, wie
                notwendig Betrug ist, denn der erste Feldzug des Kyros gegen den König
                von Armenien ist voller Betrug, und Kyros gelangt mehr durch List als
                durch Gewalt zum Throne. Der ältere Kyros, dessen Erziehung
                Xenophon in seiner Kyropädie beschrieben hat, der Gründer des
                persischen Reiches, war der Sage nach ein Sohn der Mandane, Tochter

                des Königs Astyages von Medien, des Sohnes des Kyaxares. Er folgert
                nichts andres daraus, als daß ein Fürst, der Großes vorhat, betrügen
                lernen muß. Er läßt ihn ferner den Mederkönig Kyaxares, seinen Oheim
                mütterlicherseits, auf verschiedene Weise überlisten und zeigt, daß er
                ohne diesen Betrug nicht zu seiner Größe gelangt wäre. Ich glaube auch
                nicht, daß man je einen finden wird, der sich aus niederem Stand allein

                durch offene und ehrliche Gewalt zu einem mächtigen Herrscher
                emporgeschwungen hätte, wohl aber durch Betrug allein, wie Gian
                Galeazzo Visconti, der seinem Oheim Bernabò die Herrschaft der
                Lombardei entriß. Bernabò Visconti (1358-85) regierte nach dem Tode
                seines Bruders Galeazzo II. (1378) gemeinsam mit seinem Neffen Gian
                Galeazzo die Lombardei, wurde aber 1385 von ihm eingekerkert und
                ermordet.

                     Was Fürsten im Anfang ihrer Vergrößerung tun müssen, das müssen
                auch Republiken tun, bis sie mächtig geworden sind und mit Gewalt





                                                          872
   868   869   870   871   872   873   874   875   876   877   878