Page 859 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Achtes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                       Warum die Völker ihre Sitze verlassen und fremde Länder
                                                 überschwemmen.


                Ich habe von der Art und der Weise gesprochen, wie die Römer ihre
                Kriege führten, und erzählt, wie die Etrusker von den Galliern überfallen
                wurden. Es scheint mir nicht vom Gegenstand abzuführen, wenn ich
                sage, daß es zwei Arten von Kriegen gibt. Die eine entsteht durch die

                Herrschsucht der Fürsten und Republiken; hierher gehören die Kriege
                Alexanders des Großen, der Römer und alle, die täglich eine Macht mit
                der andern führt. Diese Kriege sind gefährlich, vertreiben aber die
                Einwohner des Landes nicht ganz, da der Sieger sich mit dem Gehorsam
                der Völker begnügt. Auch läßt er ihnen meist ihre Gesetze, ihre

                bewegliche und unbewegliche Habe.
                     Die andre Gattung von Kriegen besteht darin, daß ein ganzes Volk,
                durch Hunger oder Krieg gezwungen, mit Weib und Kind aufbricht und
                neue Sitze und Länder aufsucht, nicht um darüber zu herrschen, sondern
                um sie ganz zu besitzen und die alten Einwohner zu vertreiben oder zu
                töten. Solche Kriege sind am grausamsten und schrecklichsten, und
                solche meint Sallust, wenn er am Ende seines jugurthinischen Krieges

                sagt, nach der Niederwerfung des Jugurtha habe man den Aufbruch der
                Gallier nach Italien erfahren. Der jugurthinische Krieg währte von 112-
                105 v. Chr. 105 wurden die Römer bei Arausio von den Cimbern (nicht
                Galliern) schwer geschlagen. Mit allen andern Völkern hätten die Römer
                nur um die Herrschaft gekämpft, aber mit den Galliern um ihr Dasein.
                Denn ein Fürst oder eine Republik, die ein Land angreifen, begnügen

                sich mit der Vernichtung der Regierenden; solche Völker aber müssen
                alle ausrotten, weil sie von dem leben wollen, wovon die andern gelebt
                haben.
                     Die Römer führten drei solche höchst gefährlichen Kriege. Den
                ersten, als Rom von den Galliern zerstört wurde, die, wie oben gesagt,
                den Etruskern die Lombardei entrissen und sich dort niedergelassen
                hatten. Livius führte zwei Ursachen für diesen Einfall an. V, 34 ff.

                Erstens seien die Gallier durch den Wohlgeschmack der Früchte und des
                Weins, woran es in Gallien fehlte, nach Italien gelockt worden. Zweitens





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