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Peter Hazivar
...denn geboren wurd’ uns heute
Weihnacht! Welch großes, welch bewegendes Wort. Immer noch, längst den
Kinderschuhen entwachsen, längst mit dem rauhen Leben konfrontiert, berührt
mich dieses Wort, diese Zeit in einem ungeheuren Ausmaß. Im Advent bin ich
viel sensibler, emotioneller, viel mehr bereit, die biblischen Worte: "Friede den
Menschen auf Erden, die guten Willens sind!" in mir aufzunehmen.
An dieser Stelle möchte ich eine Geschichte erzählen, die, wahrscheinlich
zufällig, gerade in den Weihnachtstagen handelte.
Der kleinen blonden Frau konnte man ansehen, daß sie nicht immer auf Rosen
gebettet gewesen war. Lang vor dem Fall des Eisernen Vorhanges war sie, eine
Berlinerin aus dem Ostteil der Stadt, der großen Liebe ihres Lebens in dessen
Vaterland Ungarn gefolgt.
Das Paar blieb kinderlos. Auch in der neuen Heimat blieb der wirtschaftliche
Erfolg aus, und so bestritten sie mit dem bescheidenen Einkommen des Mannes
ihren Lebensunterhalt.
Die kleine Stadt, in der sie lebten, nahe der Grenze zu Österreich, war durch
eine Heilquelle bekannt. Als die Stadtväter daran gingen, das marode Bad, das
noch aus der kommunistischen Ära stammte, neu zu bauen, gelang es der Frau,
eine Anstellung als Kassiererin zu erhalten. Dabei kam ihr sicherlich der
Umstand zugute, daß viele Kurgäste deutsch sprachen und sich mit ihren Fragen
an sie wenden konnten.
Danach, mit zwei Einkommen, ging es etwas leichter. Doch bald schon
erkrankte ihr Gatte schwer und mußte frühzeitig, mit großen finanziellen
Abschlägen, in Rente gehen.
Es wäre an dieser Stelle übertrieben, zu behaupten, daß sie Not litten, doch ließ
ihr Einkommen wenig Spielraum für auch nur den kleinsten Luxus zu.
Es begann am Tag vor dem Heiligen Abend. Silke, so war der Name der Frau,
war kein Freund großer Hektik und hatte die Weihnachtseinkäufe, so gut es ihr
karges Einkommen erlaubte, längst schon besorgt. So hatte sie Zeit und Muße,
durch die Straßen der kleinen Stadt zu schlendern, die festlich geputzten
Schaufenster zu bewundern und in einer kleinen Konditorei eine gute Schale
Kaffee und Kuchen zu genießen.
Schneeflocken stoben, vom Wind aufgewirbelt, über die Dächer und lagerten
sich langsam an windgeschützten Plätzen ab. Auf den gefrorenen Wegen abseits
der Hauptstraße begann sich eine leichte Schneedecke, wie angezuckert, zu
bilden.