Page 19 - Artemis_6
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               Als Silke dieses Häufchen Elends ansichtig wurde, war es mit ihrer
               Beherrschung, mit all ihrer Überlegung, vorbei. Es war ihr gleichgültig, daß  zu
               Hause zu wenig Platz war für drei Hunde, an deren Pfoten sie schon jetzt
               erkennen konnte, daß sie sich dereinst zu respektabler Größe auswachsen
               würden. Und, lieber wollte sie selbst auf manches verzichten, als diese
               Hundebabys ihrem grausamen Schicksal zu überlassen. Kurz entschlossen,
               stellte sie die Futterschüssel achtlos ins Gras, nahm die Kleinen einzeln in den
               Arm, unter ihren Mantel und lief nach Hause. Ihr Mann erwartete sie schon an
               der Tür, beim Anblick der Hundebabys gottergeben seufzend. Er sah, seine Frau
               wohl kennend, voraus, daß es so kommen mußte.
               Die Nacht zum Heiligen Abend verlief schlaflos. Immer wieder suchte Silke
               verzweifelt nach einer Lösung. Die Welpen benötigten außerdem ihre ganze
               Fürsorge, denn sie winselnden herzerweichend.
               Man kann sich vorstellen, daß die Frau nicht gerade ausgeruht zur Arbeit
               erschien. Ihre Augen, rotgeweint, verschwollen und mit dunklen Ringen
               umgeben, gaben Zeugnis von ihrer sorgenvollen Nacht.
               Die Kolleginnen waren taktvoll genug, nicht nach der Ursache ihres Aussehens
               zu fragen. Still und gedrückt verrichtete Silke ihre Arbeit. Der so lange ersehnte
               Heilige Abend hatte für sie seinen Reiz verloren.
               „Na, Hallo!“ wurde sie unvermutet  angesprochen. "Sie sehen ja heute gar nicht
               gut aus!"
               Ein Ehepaar aus Deutschland, zur Kur im Heilbad, stand vor ihr. In den
               vergangenen Tagen hatten sie etwas Zeit zum Plaudern gefunden und so waren
               die Kurgäste und  die deutschstämmige Kassiererin einander näher gekommen.
               War es die Anteilnahme, war es der lange aufgebaute Druck, oder war es nur die
               Tatsache, daß jemand, die Silke noch dazu kaum kannte, nach ihren Sorgen
               fragten; jedenfalls entluden sich ihre aufgestauten Emotionen plötzlich in einen
               unerwarteten Tränenfluß, den sie beinahe nicht beenden konnte. Zwischendurch,
               schluchzend, stockend, erzählte sie von ihren neuen Sorgenkindern.
               Die Beiden hörten der Frau still zu. Langsam beruhigte sie sich wieder, und das
               Paar tröstete sie mit liebevollen Worten. "Wer weiß", sagte der Mann zu ihr,
               "vielleicht findet sich eher eine Lösung, als Sie denken!"
               Silke war ihm für diese Worte dankbar, obwohl sie wußte, daß sie nur aus
               Höflichkeit gesprochen worden waren. Dennoch hatte sie dieser
               Gefühlsausbruch ein wenig erleichtert, sodaß ihr die Zukunft nicht mehr ganz so
               pechschwarz erschien.
               Am Abend, nach Dienstschluß, trat Silke, eingewickelt in ihren viel zu dünnen
               Mantel, fröstelnd hinaus in die kalte Winternacht.  Schneeflocken tanzten leise
               vom Himmel herab und hatten schon eine zentimeterdicke, strahlend weiße
               Decke über die kleine Stadt gelegt.

               Sie wollte rasch nach Hause eilen. Sicher hatte ihr Mann, der ja, trotz seiner
               berechtigten Einwände, Tiere auch liebte, die Hündchen bereits versorgt.
               Gemeinsam würden sie nun einen grünen Fichtenast schmücken und versuchen,
               wenigstens ein klein wenig Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen.
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